Notre Dame de Cunault
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Die Notre Dame de Cunault (Anfang 12. Jahrhundert) ist eine romanische Prioratskirche in Cunault an der Loire, Ortsteil der Gemeinde Chênehutte-Trêves-Cunault im Département Maine-et-Loire (Region Pays de la Loire) in Frankreich.
Die Hallenkirche von seltsamem Aussehen, die man leicht übersehen könnte, ist insbesondere für ihre 223 polychromen Kapitelle berühmt, die erhalten blieben, obwohl der Bau im 18. Jahrhundert stark in Mitleidenschaft gezogen wurde.
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[Bearbeiten] Geschichte
Das der Jungfrau Maria geweihte Kloster von Cunault wurde im 4.Jahrhundert von Maxentiolus, einem Jünger des Heiligen Martin gegründet und war wegen ihrer Heiligtümer, z.B. die Reliquien des hl. Maxentiolus, schon bald ein bekannter Pilgerort. Im 10. Jahrhundert wurde es Prioratskirche und als solche abhängig vom Kloster Tournus im Burgund. Aufgrund der großen Freiheiten, die Fürsten und Könige dem Kloster vom 9. bis zum 11. Jahrhundert einräumten, konnte um 1100 mit der Errichtung des Kirchenbauwerkes begonnen werden. Erste Gebäudeteile wurden im Osten errichtet und die Bauarbeiten über das ganze 12. Jahrhundert nach Westen ausgedehnt. Der Kirchturm stammt mit ziemlicher Sicherheit von einem Vorgängerbau. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts war die Kirche fertiggestellt; nur noch Details wurden verändert.
Die Klostergebäude von damals existieren nicht mehr; sie lagen wahrscheinlich südlich der Kirche. Nach den Wirren des Hundertjährigen Krieges und der Religionskriege gab es nur noch wenige Mönche. 1741 wurde dann die Prioratskirche abgeschafft und das Gebäude 1749 geteilt. Den Chor erwarb ein Privatmann und nutzte ihn als Scheune; der Kirche verblieb nur das Langhaus. Nachdem 1754 die Sankt Maxentiolus-Kirche durch einen Sturm zerstört worden war, die Ruine befindet sich auf dem Ortsfriedhof, avancierte Cunault zur Pfarrkirche.
In Zeiten der Französischen Revolution wurde das Gebäude als Staatsgut verkauft. Um 1838 begann unter dem Architekten Joly-Leterme aus Saumur die Restaurierung, die von dem Schriftsteller Prosper Mérimée unterstützt wurde und insgesamt 30 Jahre dauern sollte.
[Bearbeiten] Architektur
Der romanische Sakralbau von Cunault ist eine dreischiffige Halle mit einem Pseudoquerschiff. Der für Wallfahrtskirchen typische, gestreckte und halbrund geschlossene Umgangschor hat zwei apsidiale Chorkapellen; eine dritte in der Mittelachse ist abgebrochen.
[Bearbeiten] Fassade
Die streng wirkende Fassade des 13. Jahrhunderts wird durch Doppelbögen und kleine Säulen etwas aufgelockert. Das Tympanon des Haupteinganges an der Westfassade zeigt die Jungfrau Maria, majestätisch auf einem Thron sitzend und von Archivolten eingefasst, mit dem Jesuskind auf dem Schoß. Von jeder Seite beweihräuchern sie kleine Engel.
[Bearbeiten] Kirchturm
Der Kirchturm ist aus dem ausgehenden 11. Jahrhundert und damit der älteste, den man im Anjou finden kann. Das massive Bauwerk steht auf einer Mauer der alten Kirche, und seine in drei Etagen übereinander stehenden Arkaden sind jeweils durch ein Kranzgesims mit Grimassenmasken voneinander abgeteilt. Die unterste Etage ist eine Blendarkade, aber die beiden anderen sind reich geschmückt, was diesen Kirchturm zu einer der schönsten künstlerischen Leistungen seiner Zeit macht. Auf jeder Seite gibt es zwei Säulen mit Kapitellen, die in einem Gewölbe ohne viel Relief enden, wobei das östliche Kapitell die Verkündigung zeigt, das westliche eine Nixe, die einem Fischer einen Fisch darbietet.
[Bearbeiten] Langhaus
Die Größe des Kirchenschiffes ist beeindruckend. Ein erstaunlicher Perspektiveffekt lässt den Raum noch tiefer wirken: Sie scheint sich vom Eingang zum Chor hin zu verengen. An den drei ersten Gewölben ist der angeviner Stil, der sogenannte Plantagenei-Stil mit den stark gewölbten Kreuzrippen zu erkennen; der Rest des Gebäudes weist einen Tonnengewölbestil auf, der durch Gurtbögen unterbrochen wird, die das ganze Schiff durchziehen. Früher war die Kirche vollständig ausgemalt, von diesen Malereien sind aber nur noch Reste aus dem 12. bis 18. Jahrhundert erhalten. Das schwarze Band um die Stelen des Kirchenschiffes hat die Bedeutung eines Trauerflors.
[Bearbeiten] Kapitelle
Notre Dame de Cunault weist in seinem immensen Kapitellprogramm mit Vorliebe archaische, fast heidnisch anmutende Motive auf, besonders gerne Kampfszenen. Begleitet sind diese figurativen Szenen häufig von Pflanzenformen und beide zusammen überziehen die gesamte Kapitellzone des Pfeilers mit seinen vorgelegten Säulen als endloses Band.
In der abschreckenden Thematik der Kapitelle wird ein ganzes Pandämonium von Angstvisionen ausgebreitet. Das typischste Motiv ist der berühmte sogenannte "Grand goule", das Großmaul, das die ganze Säule zu verschlingen scheint. Dieses Motiv soll keltischen Ursprungs sein und entweder die Erde oder den Teufel darstellen.
Untiere, Fratzen und Grimassen und ein ständiges Sich-gegenseitig-Verschlingen sind Themen dieser Kapitelle. Die romanischen Kirchen als solche haben in der damaligen Welt als solide Steinbauten zwar das Beständige und Ewige symbolisiert - jenseits des ständigen Wandels der bedrohlichen Umwelt. Aber die tiefe Angst, vor allem das ständig bohrende Schuldbewusstsein des sündigen Menschen ließ auf den Kapitellen solche seltsamen, elenden Schimären entstehen.
[Bearbeiten] Kampf um die Seele
Eine Vielzahl von Themen entnahm die romanische Bauplastik einer Schrift, die bereits im Jahr 405 veröffentlicht wurde, der sogenannten Psychomachia des Prudentius [1]. Das Wort Psychomachie übersetzt man am besten als „Kampf um die Seele“.
Der Text besteht aus 915 Hexametern. In ihnen werden die christlichen Tugenden und die heidnischen Laster gegenüber gestellt, und zwar in allegorischen Bildern. Es geht um die Herrschaft in der menschlichen Seele. In verschiedenen Versionen werden Vertreter der gegnerischen Seiten als Kämpfende dargestellt. Als erste treten der Glaube als die Haupttugend und der Götzendienst als die angebliche Quelle aller Laster gegeneinander an. Hier sieht der Autor Prudentius die Grundentscheidung im Ringen der menschlichen Seele.
Die folgenden Auseinandersetzungen werden geführt von Keuschheit und Unzucht, Geduld und Zorn, Demut und Hoffart, Mäßigkeit und Üppigkeit, Geiz und Barmherzigkeit, Zwietracht und Eintracht. Am Ende siegt die Eintracht und die Psychomachie hat ein friedliches Ende. [2]
[Bearbeiten] Literatur
- Aurelius Prudentius Clemens (348 - nach 405): Psychomachia (Der Kampf um die Seele), veröffentlicht 405.
- Cunault. Texte de l’atelier du Cœur-Meurtry. 3e édition 1987 (Amtlicher Kirchenführer)
- Wilfried Hansmann: Das Tal der Loire. Köln, 1976, 13. Auflage 1989. (DuMont Kunst-Reiseführer), S. 251, Abb. 159-161;
- Raymond Oursel, Henri Stierlin (Hrsg.): Romanik. (Architektur der Welt, Bd. 15), S. 183.
- Ingeborg Tetzlaff: Romanische Kapitelle in Frankreich. Köln [1976] 3. Auflage 1979. Abb. 60,63
- Rolf Toman (Hrsg.): Die Kunst der Romanik. Architektur - Skulptur - Malerei. Köln 1996, S. 153
- Kindlers Literaturlexikon, 1974, München, dtv
[Bearbeiten] Fußnoten
Koordinaten: 47° 20' N, 0° 12' W