Beobachter (Regelungstechnik)
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Beobachter berechnen in der Regelungstechnik Zustände eines Systems (insb. Regelstrecke) aus den messbaren Eingangs- und Ausgangsgrößen. Dies geschieht, weil zumeist nicht alle Zustände messbar sind beziehungsweise eine gewünschte Redundanz nicht herstellbar ist. Um Beobachter konstruieren zu können, muss ein System beobachtbar sein. Hierbei wird zwischen struktureller Beobachtbarkeit und vollständiger Beobachtbarkeit unterschieden.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Definition vollständiger Beobachtbarkeit
Die Zustandsraumdarstellung eines linearen Systems lautet
- .
Es ist beobachtbar, wenn bei bekannter Steuerfunktion und bekannten Matrizen und aus der Messung des Ausgangsvektors über ein endliches Zeitintervall t0 < = t < = t1 der Anfangszustand eindeutig bestimmt werden kann.
Im folgenden wird als Beispiel ein System mit einem Eingang und einem Ausgang (SISO: Single Input, Single Output)
verwendet. Es beschreibt die Reihenschaltung von zwei PT1-Gliedern mit den Zeitkonstanten T1 = 0,5 und T2 = 0,25.
[Bearbeiten] Definition strukturelle Beobachtbarkeit
Eine Klasse von Systemen heißt strukturell steuerbar beziehungsweise strukturell beobachtbar, wenn es mindestens ein System gibt, das vollständig steuerbar beziehungsweise vollständig beobachtbar ist.
Um dies nachzuweisen gibt es Verfahren, deren Erläuterung hier zu weit führen würde. Dabei sind Matrizen, in denen alle Elemente ungleich 0 mit * markiert wurden, da alle Elemente gleich 0 über die strukturelle Beobachtbarkeit und strukturellen Steuerbarkeit entscheiden. Sie sind nicht mit der Beobachtbarkeitsmatrix zu verwechseln.
[Bearbeiten] Nachweis vollständiger Beobachtbarkeit
Strukturelle Beobachtbarkeit ist eine notwendige Bedingung für die vollständige Steuerbarkeit. Jedoch werden zumeist nur die folgenden Beobachtbarkeitskriterien genutzt, um eine vollständige Beobachtbarkeit nachzuweisen.
Das Beobachtbarkeitskriterium nach Kalman ist relativ einfach zu bestimmen, jedoch kann man dabei die Beobachtbarkeit nicht auf einzelne Eigenvorgänge beziehungsweise Eigenwerte beziehen. Dies kann mit Hilfe des Gilbert- und des Hautuskriteriums geschehen.
[Bearbeiten] Beobachtbarkeitskriterium von Kalman
Das System (A,C) ist genau dann nach Kalman vollständig beobachtbar[1], wenn die Beobachtbarkeitsmatrix SB den Rang n hat:
- mit
Für das Beispielsystem gilt
und
mit der Beobachtbarkeitsmatrix
- .
Es gilt und damit ist der Rang gleich 2. Das System ist vollständig beobachtbar.
[Bearbeiten] Beobachtbarkeitskriterium von Gilbert
Wenn das Modell in kanonischer Normalform (Jordansche Normalform)
mit
und als Matrix der Eigenvektoren vorliegt, gilt das Kriterium von Gilbert[2]:
Ein System , dessen Zustandsraummodell in kanonischer Normalform vorliegt, ist genau dann vollständig beobachtbar, wenn die Matrix keine Nullspalte besitzt und wenn die p Spalten , der Matrix , die zu den kanonischen Zustandsvariablen eines p-fachen Eigenwerts gehören, linear unabhängig sind.
Die kanonische Normalform des Beispielsystems lautet
Die Matrix besitzt nur Spalten (hier Elemente) ungleich 0. Der Test auf lineare Anhängigkeit entfällt hier, da das System einfache Eigenwerte hat.
Das System ist vollständig beobachtbar.
[Bearbeiten] Beobachtbarkeitskriterium von Hautus
Das System (A,C) ist genau dann vollständig beobachtbar nach Hautus[3], wenn die Bedingung:
- Rang
- für alle Eingenwerte λi(i = 1,2,...,n) der Matrix A erfüllt ist.
Die Systemmatrix des Beispiels hat die Eigenwerte λ1 = − 2 und λ2 = − 4. Für beide Eigenwerte ist die Bedingung
erfüllt. Das System ist also vollständig beobachtbarbar.
[Bearbeiten] Beobachter-Normalform
Für ein System mit einem Eingang und einem Ausgang kann die Beobachter-Normalform unter anderem aus der zur Übertragungsfunktion äquivalenten Differentialgleichung einfach bestimmt werden.
- .
Das Beispielsystem hat die Übertragungsfunktion
- .
Daraus folgt mit b0 = 8, a0 = 8 und a1 = 6
[Bearbeiten] Luenberger-Beobachter
Die Idee von Luenberger 1964 beruht auf einer Parallelschaltung vom Beobachter zum Regelstreckenmodell[4]. Dabei wird jedoch die Differenz zwischen auf das Modell zurückgeführt, um den Beobachter flexibel auf Störungen beziehungsweise eigene Ungenauigkeiten reagieren zu lassen. Grundsätzliche Gleichung des Beobachters ist also
dabei bestimmt sich
somit ergibt sich für den Beobachter
Für den Beobachtungsfehler eines Luenberger-Beobachters gilt daher , wenn alle Eigenwerte der Matrix negative Realteile besitzen.
Die Bestimmung der Rückführmatrix wird bei Anwendung der Beobachter-Normalform besonders einfach. Für Eingrössensysteme gilt mit
Die vorgegebenen Beobachtungseigenwerte sind λBi(i = 1,...,n). Werden aus diesen Eigenwerten die Koeffizienten des charakteristischen Polynoms bestimmt, so ergibt sich der Vektor .
- .
Das Beispielsystem hat die Eigenwerte e1 = − 2 und e2 = − 4. Damit der Beobachter dem System folgen kann müssen dessen Eigenwerte links von denen des Systems liegen. Diese Forderung ist für λ1,2 = − 8 erfüllt. Die charakteristische Gleichung lautet in diesem Fall
und damit aB0 = 64 und aB1 = 16. Die Rückführmatrix ist damit
- .
Für den vollständigen Beobachter lautet die Differenzialgleichung
- .
Die Abbildung zeigt die mit Scilab realisierte Simulation des Beispielsystems und des oben beschriebenen Beobachters. Die Anfangsbedingungen des Systems sind und die des Beobachters . Nach kurzer, von der Wahl der Eigenwerte des Beobachters abhängigen, Einschwingzeit ist das Verhalten von System und Beobachter identisch.
[Bearbeiten] Reduzierter Beobachter
Oft können einige Zustandsgrößen direkt gemessen werden. Damit ist es nicht notwendig, diese zu schätzen. Nach umsortieren der Matrizenzeilen in gemessene und beobachtete Zustände lautet die Zustandsraumdarstellung des Eingrössensystems
Die Zustandsgleichung des vollen Systems ist
und die des reduzierten Systems ist
Die Messgleichung des vollen Systems ist
und die des reduzierten Systems ist
Die Substitution
in die Gleichung des vollen Beobachters eingesetzt ergibt
In dieser Darstellung stört noch die zeitliche Ableitung von y. Die Transformation
ergibt die Gleichung
und daraus den geschätzten Zustandsvektor
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ Lunze, Jan: Regelungstechnik 2: Mehrgrößensysteme Digitale Regelung. 4. Auflage. Springer Verlag, Heidelberg 2006, ISBN 3-540-32335-X, S. 94.
- ↑ Lunze, Jan: Regelungstechnik 2: Mehrgrößensysteme Digitale Regelung. 4. Auflage. Springer Verlag, Heidelberg 2006, ISBN 3-540-32335-X, S. 95.
- ↑ Lunze, Jan: Regelungstechnik 2: Mehrgrößensysteme Digitale Regelung. 4. Auflage. Springer Verlag, Heidelberg 2006, ISBN 3-540-32335-X, S. 96.
- ↑ Lunze, Jan: Regelungstechnik 2: Mehrgrößensysteme Digitale Regelung. 4. Auflage. Springer Verlag, Heidelberg 2006, ISBN 3-540-32335-X, S. 332 ff.
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Literatur
- S.D.G. Cumming: Design of observers of reduced dynamics. Electronic Letters 5, 1961, S. 213-214.
- D. G. Luenberger: Observing the state of a linear system. IEEE Transaction on Military Electronics, (8), 1964, S. 74-80.
- R.E. Kalman and B. Bucy: New results in linear filtering and prediction theory. Trans ASME, Series D, Journal of Basic Engineering(ASME),83D, 1961, S. 98-108.
- A. Gelb: Applied Optimal Estimation. The MIT press, Massachusetts Institute of Technology, Massachusetts 1974.
- Otto Föllinger: Regelungstechnik, Einführung in die Methoden und ihre Anwendung. ISBN 3-7785-2336-8.