Raumverteidigung
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Raumverteidigung ist ein von dem österreichischen General Emil Spannocchi (1916-1992) Ende der 60er Jahre entwickeltes Konzept, welches im Gegensatz zur Grenzverteidigung im Rahmen der so genannten umfassenden Landesverteidigung eine Verteidigung des Territoriums durch den Kampf aus Schlüsselzonen, Raumsicherungszonen und in Schlüsselräumen durch das Österreichische Bundesheer vorsah.
Das Konzept der Raumverteidigung (nach dem Armeekommandanten als "Spannocchi-Doktrin" bekannt) sieht vor, einen möglichen Aggressor nicht in einer großen Verteidigungsschlacht zu besiegen, sondern stattdessen durch stetige Überfälle und Kleinkrieg auf Nachschublinien zu zermürben. Durch den auf diese Art erzielten zu hohen "Durchmarschpreis" sollen potenzielle Gegner von vornherein davon abgehalten werden, einen Durchmarsch durch das Territorium Österreichs zu versuchen.
Das Raumverteidigungskonzept sah den Kampf und die starke Verteidigung von Schlüsselzonen vor, die auch mit tausenden „Festen Anlagen“ (Bunker), vorbereiteten Sperren, Feldsperren, Sprenganlagen, Landwehrlagern, etc. und starken Einheiten geschützt waren. Die Schlüsselzonen und Sperranlagen befanden sich großteils im alpinen, d.h. leichter zu verteidigenden Bereich und waren vor allem gegen den Warschauer Pakt, in Tirol vor allem gegen die NATO aus Deutschland und Italien gerichtet.
Die Bundesregierung hätte sich in die Einsatzzentrale Basisraum zurückziehen sollen. Außerhalb der Schlüsselzonen gab es die sogenannten Raumsicherungszonen, in denen durch eine guerillaartige Kleinkriegstaktik durch Jagdkampfbataillone ein potentieller Angreifer (der nach damaliger Planung NATO bzw. Warschauer Pakt oder Jugoslawien war) einen möglichst hohen Eintrittspreis ins neutrale Österreich zahlen sollte und auch danach in seinen Nachschublinien und Einheiten bekämpft werden sollte (siehe auch z.B. Kriegsführung in Afghanistan bzw. heute Irak). Eine starke Verteidigung außerhalb der Schlüsselzonen direkt ab der Staatsgrenze war für den Operationsfall Jugoslawien vorgesehen.
Das Raumverteidigungskonzept war, wie aus inzwischen veröffentlichten Dokumenten der ehemaligen potentiellen Gegner hervorgeht, vom Ausland doch „gefürchtet“. So plante z.B. die Ungarische Armee für eine nur leicht geschützte Raumsicherungszone 50 bis 70 Geschütze und Granatwerfer, 10 bis 15 Panzer und 15 bis 20 Geschütze (im Direktbeschuß) pro Kilometer ein. Bei einem derartigen Kräfteeinsatz würde das Tempo des Vormarsches innerhalb der Raumsicherungszone 2,5 bis 3 Kilometer pro Stunde betragen. Für einen Vormarsch in den Schlüsselzonen sahen sich die Ungarn damals nicht gerüstet. (Quelle: Vortrag eines Ungarischen Generals in „Information zur Sicherheitspolitik Nr.20“, Juli 1999) Ein Einmarsch der NATO aus Italien hätte dank der in den Tälern vorbereiteten Sperren und Sprengpläne effizient behindert werden können. Kritiker bezweifelten jedoch, ob eine reale Verteidigungsmöglichkeit angesichts des möglichen Einsatzes von Kernwaffen durch den Gegner bestanden hätte.
In großen Raumverteidigungsübungen wurden verschiedene Szenarien beübt - dabei wurden auch mehrmals Spione verhaftet; 1979 auch einer aus der Schweiz.
Die in Landwehrstammregimentern organisierte Armee hatte einen sehr hohen, aber gut ausgebildeten Milizanteil (Planung 300.000 Mann). Milizsoldaten des Vorarlberger Jagdkampfbataillon (JaKB) 911 hatten wie in der benachbarten Schweiz sogar das Sturmgewehr mit Munition zu Hause. Eine Ausdehnung dieser Regelung auf andere Einheiten in Westösterreich war geplant, wurde jedoch durch das absehbare Ende des Kalten Krieges nicht mehr umgesetzt. Mit dem Zerfall des Warschauer Paktes war auch das Raumverteidigungskonzept überholt. Ab 1992 erfolgte daher die Umgliederung der Landwehrstammregimenter in Jäger- und Stabsregimenter und eine deutliche Reduktion der personellen Stärke.