Medienereignis
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Medienereignis ist ein in der Medien- und Kommunikationswissenschaft spezifisch gebrauchter Begriff, der die Medienberichterstattung über ein bedeutsames Geschehen meint, das sich außermedial ereignet und von der Öffentlichkeit als etwas Besonderes wahrgenommen wird. Per definitionem ist ein Medienereignis also nicht nur etwas, das ‚sich ereignet’, sondern auch etwas, das ‚eräugt’ werden will.
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[Bearbeiten] Beispiele
Medienereignisse wie die Terroranschläge am 11. September 2001 in den USA, die Beerdigung von Papst Johannes Paul II., die Olympischen Spiele, die Fußball-WM 2006, königliche Trauungen, bestimmte Nationalfeiertage und Gedenktage, die erste Mondlandung oder die Öffnung der Berliner Mauer 1989 verweisen als Schwellenphasen des Besonderen (Victor Turner) auf bedeutsame kulturelle Zusammenhänge, die zunehmend an Einfluss auf die Orientierungs- und Sinnangebote in der Mediengesellschaft gewinnen.
In einer Mediengesellschaft müssen die Medien aus der wirtschaftlichen Konkurrenzsituation heraus sich aber auch selbst immer mehr produzieren und von den anderen Medien abgrenzen. Um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, initiieren Medien hin und wieder eigens zum Zwecke der Berichterstattung Kommunikationsereignisse, denen kein außermediales Geschehen zugrunde liegt. Für solche Fälle hat in der Kommunikationswissenschaft in den vergangenen Jahren der Begriff des Pseudoereignisses Karriere gemacht, das auf den auf den Historiker Daniel Boorstin zurückgeht. Boorstin hat Anfang der 1960er Jahre dazu die viel beachtete Studie „The Image. A Guide to Pseudo-Events in America“ vorgelegt.
[Bearbeiten] Theorie
Seit Ende der 1970er Jahre hat der israelische Kommunikationswissenschaftler Elihu Katz – später gemeinsam mit dem französischen Medienforscher Daniel Dayan – kontinuierlich einen anthropologisch orientierten Theorieansatz entwickelt, der einen der profiliertesten Entwürfe zur Untersuchung von Medienereignissen (Media Events) in modernen Gesellschaften darstellt. Insbesondere ihr 1992 erschienenes Buch „Media Events: The Live Broadcasting of History“, dessen wissenschaftliche Reflexion der Entstehung nationaler, oftmals internationaler, in wenigen Fällen auch globaler ritueller Gemeinschaften infolge von Medienereignissen und der besonderen Inszenierungsfunktion des Fernsehens gilt, kann als Meilenstein innerhalb der kulturwissenschaftlichen Medien- und Kommunikationsforschung betrachtet werden.
Dass die ritualtheoretische Medienereignisforschung von Katz und Dayan inzwischen internationale Bekanntheit erlangt hat, ist nicht nur den zahlreichen theoretischen Anknüpfungsbemühungen an ihre wissenschaftlichen Arbeiten zu verdanken. Ebenso haben eine Reihe von überwiegend interdisziplinär ausgerichteten Forschungsvorhaben in diese Richtung die Medienereignisforschung in den vergangenen Jahren immer weiter vorangetrieben – auch wenn bisher noch nicht von einem etablierten, systematisierten Forschungsschwerpunkt gesprochen werden kann: Theoretische Verbindungen lassen sich beispielsweise zu den Cultural Studies ausmachen, neuerdings beschäftigen sich auch die Medien- und Kommunikationswissenschaften sowie die Ritualforschung mit der Medienereignistheorie. Insgesamt hat die Medienereignistheorie von Katz und Dayan eine theoretische wie analytische Voraussetzung geschaffen, um derart komplexe Medienphänomene überhaupt ganzheitlich fassbar zu machen.
[Bearbeiten] Forschungsstand
Auch in Deutschland haben die Arbeiten von Dayan und Katz inzwischen eine gewisse Bekanntheit erlangt, auch wenn bisher nur vereinzelte Studien und kursorische Bezüge auf ihren rituellen Theorieansatz vorliegen. Dagegen orientiert sich die französische Medienereignisforschung vor allem an den Arbeiten des Philosophen Pierre Nora: Im Gegensatz zu Dayan und Katz geht Nora davon aus, dass es die Medien selbst sind, die Ereignisse und damit eine Ereignishaftigkeit generieren. Sie tun es auf unterschiedliche Weise: Jedes Medium - ob Radio, Presse oder Fernsehen - stellt besondere, ihm eigene Ereignisse her. Insgesamt funktionieren aber alle Medien nach derselben Logik: Sie stehen unter dem Zwang, immer neue Ereignisse produzieren zu müssen, und haben ein gigantisches Detektorsystem aufgebaut, um alles aufzuspüren, was die Aufmerksamkeit des Publikums wecken könnte. Es werden demnach viele Ereignisse von den Medien produziert, was aber nicht bedeutet, das diese künstlich sein müssen.
[Bearbeiten] Literatur
- Boorstin, Daniel (1987): The Image. A Guide to Pseudo-Events in America. New York [Orig. 1962]
- Dayan, Daniel (2000): Religiöse Aspekte der Fernsehrezeption. Große Medienereignisse im Spiegel des Rituals. In: Thomas, Günter (Hrsg.): Religiöse Funktionen des Fernsehens? Medien-, kultur- und religionswissenschaftliche Perspektiven. Opladen, S. 191-204
- Dayan, Daniel/Katz, Elihu (1992): Media Events. The Live Broadcasting of History. Cambridge, Mass./London
- Katz, Elihu (1980): Media Events: The sense of occasion. In: Studies in Visual Communication, 6 (1980) 3, S. 84-89.Cambridge, Mass./London
- Rothenbuhler Eric W. (1988b): The Living Room Celebration of the Olympic Games. In: Journal of Communication, 38 (1988) 4, S. 61-81
- Weichert, Stephan Alexander (2006): Die Krise als Medienereignis. Über den 11. September im deutschen Fernsehen. Köln.