Ethnophilosophie
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Ethnophilosophie stellt im Großen und Ganzen eine Antwort auf westliche Ansichten afrikanischer Kultur dar. Es handelt sich dabei um eine Anthropologie mit philosophischem Anspruch. Sie betont ebenso wie die Idee der Négritude die eigene kulturelle Tradition und verfestigt und konserviert somit überlieferte Weltanschauungen und Glaubenssätze.
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[Bearbeiten] Entwicklungsprozess
Traditionelle Ethnologen vermischten den Begriff (afrikanische) Mentalität mit dem Begriff (afrikanische) Philosophie, solange das Attribut „primitiv“ an beiden haften blieb. Afrikanische Denker erlagen diesem Mythos, es gäbe eine Weltanschauung aller Afrikaner, ein unwandelbares Denksystem im ewigen Gegensatz zu Europa. Da es sich beim Glauben an die Einstimmigkeit der Glaubensauffassungen Afrikas um eine kolonialistische Ideologie handelt, war und ist das Konzept einer Geschichte undenkbar. Es ist nach Paulin J. Hountondji "ein Diskurs ohne Referenz" (1993, S. 82) und kann daher nie falsifiziert werden.
Die Ethnophilosophie nimmt ihren Ausgang bei Tempels' Buch ’’La philosophie bantoue’’ (1945). Der Beginn der afrikanischen Ethnophilosophie kann mit dem Jahr 1956 festgelegt werden, in dem Alexis Kagamés Buch ’’La philosophie Bantu-Rwandaise de l’Être’’ erschienen ist. Auch gewisse Texte Senghors aus dem Jahr 1939 können als Beginn der afrikanischen Ethnophilosophie gedeutet werden.
Kulturelle Nationalisten der „Dritten Welt“ (z.B. Aimé Césaire, Leopold Senghor) waren Komplizen der „progressiven“ westlichen Anthropologen (z.B. Bronisław Malinowski, Melville J. Herskovits). Erstere tauchten durch Verinnerlichung der Annahmen Tempels' und anderer Ethnophilosophen, die für ein europäisches Publikum schrieben, zurück in die eingebildeten kulturellen Ursprünge ihres Denkens, um der psychologischen und praktischen Vergewaltigung durch die Kolonisatoren zu entfliehen; zweitere entflohen temporär der Langeweile der industrialisierten europäischen Zivilisation.
[Bearbeiten] Zwei idealtypische Denkströmungen
Die beiden Schulen sind sich hauptsächlich uneinig in der Beantwortung der Frage, welche Rolle die traditionelle afrikanische Philosophie – so sie überhaupt existiert – spielen soll. Welche Funktionen werden Sprichwörtern und anderen kulturellen Manifestationen der oralen Tradition zugeschrieben? Wichtig dabei ist, dass diese beiden "Schulen" Idealtypen sind, denen sich die einzelnen Autoren annähern. Selten gehört ein Autor heute nur der einen oder nur der anderen Schule an. (Beispielsweise verwenden sowohl Kwasi Wiredu als auch Kwame Gyekye Akan-Sprichwörter.)
[Bearbeiten] Die ethnophilosophische Schule
- Vertreter dieser Denkrichtung (z.B. John Samuel Mbiti, Kwame Gyekye und Kobina Oguah) behaupten, dass die traditionelle afrikanische Philosophie in Form von Weltanschauungen, Sprichwörtern und Traditionen Ausgangspunkt für jetzige Studien bilden muss.
- Sie nehmen Glaubenssätze als Schlussfolgerungen einer eigentlichen, „traditionellen“ afrikanischen Philosophie.
- Sie nehmen an, Philosophien im Westen haben öfter die Rolle gespielt, herrschende Anschauungen in der Gesellschaft zu verteidigen und zu erhalten.
[Bearbeiten] Die zeitgenössisch-individualistisch-literarische Schule
- Autoren dieser Richtung (z.B. Kwasi Wiredu, Kwame Anthony Appiah, Peter Bodunrin und Paulin Hountondji) beschäftigen sich primär mit der Philosophie als den literarischen Werken der Gegenwart.
- Sie vertreten einen professionell-rationalistischen, positivistischen Ansatz.
- Sie nehmen Glaubenssätze in erster Linie als Prämissen, von denen heute ausgegangen wird.
- Oft denken sie, philosophische Debatten (auch in Europa) zeigten die Abweichungen von herrschenden Glaubenssätzen und Weltanschauungen.
[Bearbeiten] Ethnophilosophische Schriften (Auswahl)
- 1949: Placide Tempels, La philosophie bantoue (dt. 1956: Bantu-Philosophie. Ontologie und Ethik)
- 1954: S.F. Nadel, Nupe religion
- 1956: Alexis Kagamé, La philosophie Bantu-Rwandaise de l’Être
- 1958: Janheinz Jahn, Muntu. Umrisse einer neoafrikanischen Kultur
- 1962: William Abraham, The Mind of Africa
- 1964: Francois-Marie Lufuluabo, La Nation luba-bantoue de l’être
- 1964: Kwame Nkrumah, Consciencism (dt. 1965: Consciencismus)
- 1964: Léopold Sédar Senghor, Liberté I. Négritude et humanisme
- 1969: John Samuel Mbiti, African Religions and Philosophy (dt. 1974: Afrikanische Religion und Weltanschauung)
[Bearbeiten] Kritische Literatur (Auswahl)
- 1927: Paul Radin, Primitive Man as Philosopher
- 1948: Marcel Griaule, Dieu d’eau. Entretiens avec Ogotemmeli (dt. 1970: Schwarze Genesis. Ein afrikanischer Schöpfungsbericht)
- 1950: Aimé Césaire, Discours sur le colonialisme (dt. 1968: Über den Kolonialismus)
- 1952: Frantz Fanon, Peau noire, masques blancs (dt. 1980: Schwarze Haut, weiße Masken)
- 1961: Frantz Fanon, Les Damnés de la terre (dt. 1966: Die Verdammten dieser Erde)
- 1965: Vincent Mulago, Un visage africain du christianisme
- 1968: Fabien Eboussi-Boulaga, Le Bantou problématique
- 1971: Marcien Towa, Essai sur la problematique philosophique dans l’Afrique actuelle
- 1972: Henry Odera Oruka, Mythologies as African Philosophy
- 1976: Paulin Jidenu Hountondji, African Philosophy. Myth and Reality (dt. 1993: Afrikanische Philosophie. Mythos und Realität)
- 1980: Kwasi Wiredu, Philosophy and an African Culture
- 1980: Terence O. Ranger: Kolonialisierung in Ost- und Zentralafrika. In: J. H. Grevenmeyer (Hrsg.): Traditionelle Gesellschaft und europäischer Kolonialismus
- 1984: Kwasi Wiredu, How not to Compare African Thought with Western Thought. In: R. A. Wright (Ed.): African Philosophy