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Resandefolket – Wikipedia

Resandefolket

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Resandefolket („das reisende Volk“; vgl. Fahrendes Volk) ist eine Bezeichnung für eine historische Bevölkerungsgruppe unklarer Definition in Schweden mit dem besonderen Merkmal der Dauermigration.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Bezeichnungen

Resande ist eine schwedische Fremdbezeichnung, die auch von Angehörigen der Gruppe als Selbstbezeichnung verwendet wird, nachdem sie anders als die konkurrierenden beiden Ethnonyme tattare und zigenare nicht abwertend verstanden werden muß. Mit "Reisen" ist eine historisch durch ökonomischen, rechtlichen und sozialen Ausschluß bedingte und soziokulturell verfestigte Form dauerhafter Binnenmigration gemeint, die familienweise ausgeübt wurde und z. T. noch wird.

Resande meint in einem weiten Sinn sowohl Angehörige der ethnischen Gruppe der Roma als auch "Fahrende" aus der schwedischen Mehrheitsbevölkerung, beide aus der mehrheitsgesellschaftlichen Perspektive betrachtet und in unscharfer Abgrenzung voneinander. In einem enger gefaßten Verständnis bezieht das Wort sich ausschließlich auf Roma. Die Forschung zum Thema ist wenig entwickelt, zu mehrheitsgesellschaftlichen Fahrenden aber kaum, so daß präzisere Definitionen nicht möglich sind.

Die genaue Herkunft von zigenare, einer gemeineuropäischen Fremdbezeichnung, ist nicht sicher. In der Regel jedoch wird als gemeinsame sprachliche Wurzel das griechische Wort atsinganoi als mutmaßlich korrumpierte Form von athinganoi angenommen. So lautete der Name der im 9. Jahrhundert bezeugten gnostischen Sekte der Athinganen oder Athinganer (siehe auch Roma (Ethnie)).

Tattare leitet sich offenbar von „Tatar“ ab. Dafür scheint eine volkstümliche Deutung von Roma als Tataren ausschlaggebend gewesen zu sein. Der sprachliche Bezug zu Tatar findet sich so auch in Norddeutschland, im Norwegischen sowie - wenig gebräuchlich - im Dänischen mit ähnlichen Ethnonymen vor. Tattare ist sehr herabsetzend.

Zigenare und tattare werden heute in elaborierter Kommunikation, im offiziellen und offiziösen Sprachgebrauch kaum mehr verwendet. Sie wurden abgelöst durch romer, der schwedischen Pluralbildung zu rom, Eigenbezeichnung der Roma, die auch resande verdrängt.

[Bearbeiten] Mehrheitsgesellschaftliche Unterscheidungen

In der politischen und administrativen Perspektive wird unterschieden zwischen "schwedischen", "finnischen", "reisenden", "nichtskandinavischen" und "neuzugewanderten" Roma. Die Zuordnungen sind nicht unumstritten. Sie überschneiden sich zum Teil oder sind in der zeitlichen Zuordnung fragwürdig.

[Bearbeiten] Geschichte

Die ersten Roma in Schweden sind für den Beginn des 16. Jahrhunderts bezeugt. In der Frühen Neuzeit befanden sie sich in einer widersprüchlichen Situation. Einerseits waren sie nicht geduldet und angesichts von Einreiseverboten von Abschiebung bedroht. Andererseits dienten viele Roma in schwedischem Militär und befanden sich dort in einem rechtlich bestimmten Schutzverhältnis.

So lässt Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, ausgezeichneter Kenner des zeitgenössischen Militärs, in der „Landstörtzerin Courasche“ im Dreißigjährigen Krieg eine „ziegeunerische Rott von den königsmarckischen Völckern“ auftreten, die sich „der schwedischen Hauptarmee“, angeschlossen habe.[1] Hans Christoph Graf von Königsmarck war Obrist eines schwedischen Regiments. Nachdem im Münsteraner Friedensschluss Bremen an Schweden gefallen war, wurde die Stadt zu einem schwedischen Anwerbeort, an dem sich auch Roma einfanden.[2] Die Dragonerschwadron unter Oberst Skantzenstierna bestand 1676 zu einem Drittel aus „tattare“. [3] Es dürfte hier die Erklärung dafür liegen, daß manche lange in Schweden beheimatete Romafamilien typische Soldatennamen haben.

Im 19. Jahrhundert waren "Reisende" zunehmend mit administrativen Einschränkungen konfrontiert. Diese betrafen vor allem Handel und Landstreicherei. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts vergrößerte sich die Minderheit durch Zuwanderung von Kalderasch aus Osteuropa und aus Finnland.[4] Die in der Mehrheitsgesellschaft gängigen antiziganistischen Klischees dieser Zeit finden sich in Werken bekannter schwedischer Autoren wie Victor Rdberg oder August Strindberg wieder.[5] 1914 versuchte ein Einreiseverbot für nichtschwedische "Reisende", die weitere Immigration zu beenden ("Gesetz betreffend ein Verbot für gewisse Ausländer, sich hier im Reich nicht aufzuhalten"). Es galt bis 1954.

In der Zwischenkriegszeit traten zu den bisherigen soziografischen Beschreibungs- und Erklärungsweisen rassenbiologische. Wissenschaft und Politik entdeckten die "Zigeunerfrage". Damit einher gingen sozialpolitisch und ökonomisch begründete Vorschläge zur Sterilisierung von Roma als "Lösung" dieser Frage. Auch wenn es nicht zu einem Gesetz zur allgemeinen Sterilisierung der Angehörigen der Minderheit kam, so wurde doch auch im sozialdemokratischen Schweden eine nicht bekannte Zahl von Roma sterilisiert.[6]

In den 1940er Jahren wurden Tausende als tattare oder zigenare unter dem Vorgeben registriert, daß das Land in den Krieg hineingezogen werden könnte. Eine der heutigen Selbsorganisationen, die "Resande Folkets Riksorganisation", gibt an, um die Minderheit in diesem Fall nach Deutschland deportieren zu können.[7]

Die Kenntnis der Massenverbrechen an "Zigeunern" im von den Nationalsozialisten beherrschten Europa ließ die antiziganistischen Stereotypien auch in der schwedischen Gesellschaft über das Ende des Nationalsozialismus hinaus zunächst unberührt. Dafür steht ein weithin beachteter Vorgang 1948 in der Stadt Jönköping. Es kam dort zu gewalttätigen Ausschreitungen, bei denen die lokale Mehrheitsbevölkerung die Angehörigen der Minderheit zu vertreiben versucht. Dabei verhielten sich die Ordnungskräfte passiv.

Seit den 1970er Jahren erweiterte sich die Minderheit um Arbeitsmigranten und Bürgerkriegsflüchtlinge vor allem aus dem östlichen Europa. Zumindest in diesem Fall ist es allerdings nicht gerechtfertigt, statt von Roma von "Fahrendem Volk" zu sprechen.

[Bearbeiten] Heutige Situation

Die Minderheit wird heute auf 15.000 - 40.000 Menschen geschätzt. Viele resande sprechen inzwischen nurmehr „Skandinavisches Romani“ (Romani rakripa), ein Para-Romani, das in seiner Syntax und Morphologie bereits überwiegend den zentralskandinavischen Sprachen zuzuordnen ist, in seinem Mischwortschatz aber noch einen hohen Anteil von Romani aufweist.

Seit 1999 sind Roma neben Samen, Schwedenfinnen, Tornedalern und Juden als eine von fünf nationalen Minderheiten in Schweden anerkannt. Ihre Sprache, das Romanes, ist - neben Finnisch, Tornedalsfinnisch, Samisch, Jiddisch und der Gebärdensprache - eine der anerkannten nationalen Minderheitssprachen. 2002 wurde als die Regierung beratende Einrichtung der Rat für Romafragen begründet.

Während einerseits manche "Reisende" sich gesellschaftlich integrieren konnten, leben nach wie vor viele andere in einer schwierigen sozialen Situation. Roma haben größere Schwierigkeiten des Zugangs zu Bildungseinrichtungen, zum Arbeitsmarkt und zum Wohnungsmarkt als andere in Schweden.

[Bearbeiten] Autoren und Literatur aus der Minderheit

Unter den schwedischen Kalderasch war Dimitri Taikon nicht nur Oberhaupt eines großen Familienverbandes, er trat auch durch seine Erzählkunst hervor. Es gibt umfangreiche Aufzeichnungen seiner Interpretationen von Roma-Märchen sowie eigene Ausformungen von Märchen und Sagenstoffen.

  • Dimitri Taikon, Taikon erzählt. Zigeunermärchen und -geschichten, aufgezeichnet von Carl Herman Tillhagen (übertragen von Edzard Schaper) Artemis-Verlag: Zürich 1948

Eine sehr bekannte Schriftstellerin mit Romaherkunft ist Katarina Taikon-Langhammer (1932-1995). Ihre Schwestern Rosa und Ingeborg Taikon haben europaweit einen Namen als Silberschmiedinnen.

  • Katarina Taikon, Zigenare, Stockholm 1970
  • Katarina Taikon, Katzizi, 7 Bände in deutscher Übersetzung [Thema: Leben eines Romamädchens in Schweden, autobiografisch], Mainz Verlag: Aachen 1999-2001

Der Schriftsteller Kjell Johansson kommt aus dem Milieu der "Reisenden". Er hat in seiner Literatur biografische Erfahrungen verarbeitet.

  • Kjell Johansson, Der Geschichtenmacher, München 1999, 2. Aufl.

[Bearbeiten] Anmerkungen

  1. Zit. nach: Ulrich Friedrich Opfermann, "Seye kein Ziegeuner, sondern kayserlicher Cornet". Sinti im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 2007, S. 223f.
  2. Ebenda, S. 228.
  3. François de Vaux de Foletier, Mille ans d'histoire des Tsiganes, Paris 1970, S. 122f.
  4. Die folgenden Angaben im wesentlichen nach: http://www.romanistudies.se/forskning.html.
  5. Victor Rydberg, Singoalla, Göteborg 1857; August Strindberg, Tschandalla, Stockholm 1897
  6. Bo Hazell, Man steriliserade tattare, in: Scoop - tidskrift för grävande journalistik, Nr 3, 1997 (bearbeitete Fassung einer Sendung von Sveriges Radio vom 31. März 1997).
  7. http://resandefolketsriksorganisation.se/resandefolkets_historik.htm

[Bearbeiten] Literatur

  • Karl-Olov Arnstberg, Svenskar och zigenare. En etnologisk studie av samspelet över en kulturell gräns, Stockholm 1998
  • Allan Etzler, Zigenarna och deras avkomlingar i Sverige, Stockholm 1944
  • Bo Hazell, Resandefolket. Från tattare till traveller, Stockholm 2002
  • Adam Heymowski, Swedish "travellers" and their ancestry. A social isolate or an ethnic minority?, Uppsala 1969
  • Bjørn Hvinden (Hrsg.), Romanifolket og det norske samfunnet: følgene av hundre års politikk for en nasjonal minoritet. Fagbokforlaget, Bergen 2000, ISBN 82-7674-663-2
  • Norma Montesino, Zigenarfrågan. Intervention och romantik, Lund 2002
  • E. Strand, Swedes and Gypsies. An ethnologic study of the interplay over a cultural boundary, Bokrecension av K-O Arnstbergs Svenskar och zigenare - en studie av samspelet över en kulturell gräns, Romani Studies journal, 5 (2001), Bd. 11, Nr. 2

[Bearbeiten] Weblinks


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