Komitologie
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Der Begriff Komitologie trat zum ersten Mal in „Parkinsons Gesetz und andere Untersuchungen über die Verwaltung“ von 1957 auf und bezeichnete damals einen allgemeinen Terminus für die Ausschusslehre.
Heute versteht man darunter das System der Verwaltungs- und Expertenausschüsse innerhalb der Europäischen Union, die das Ziel haben, bei der Durchführung von EU-Rechtsakten durch die Kommission die Überwachung dieser Durchführungsbefugnisse durch den Rat sicherzustellen und schnelles, effektives und verantwortliches Handeln zu gewährleisten; dieses System wird auch als Ausschusswesen bezeichnet. In diesen Durchführungsausschüssen kooperieren Kommissionsbeamte (die den Vorsitz innehaben) mit mitgliedstaatlichen Delegierten (in der Regel Vertreter der nationalstaatlichen Ministerien und ausgewiesene Experten).
Die Komitologie-Ausschüsse finden ihre Daseinsberechtigung in der Unterstützung der Europäischen Kommission bei der Ausübung der Durchführungsbefugnisse, die ihr der Gesetzgeber, also Rat der Europäischen Union und Europäisches Parlament, übertragen hat.
In der Politikwissenschaft gelten die Ausschüsse der Komitologie als Kontrollmittel der Mitgliedsstaaten gegenüber der Kommission, die gemäß der Prinzipal-Agent-Theorie durch die Komplexität der Materien einen Wissensvorsprung gegenüber den Staaten besitzt, der auf diese Weise verringert werden kann.
Die Komitologie-Ausschüsse haben drei wesentliche Merkmale gemeinsam.
Zum einen wurden sie vom Gesetzgeber (Rat und Europäisches Parlament) nach den zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Basisrechtsakts, mit dem sie eingesetzt wurden, gültigen „legislativen“ Verfahren geschaffen, also nach dem Verfahren der Zusammenarbeit, dem Konsultationsverfahren oder, seit dem Vertrag von Maastricht, dem Mitentscheidungsverfahren. Die Komitologie-Ausschüsse verfügen also über eine Rechtsgrundlage, die im sogenannten „Basisrechtsakt“ enthalten ist.
Zum Zweiten ist ihre Struktur und Arbeitsweise in mehrfacher Hinsicht einheitlich. In jedem der aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammengesetzten Ausschüsse führt der Vertreter der Kommission den Vorsitz; die Vertreter der Mitgliedstaaten sind die einzigen ,Mitglieder" des jeweiligen Ausschusses. Die Ausschüsse werden nach den im Basisrechtsakt vorgesehenen Verfahren in Übereinstimmung mit dem „Komitologie“-Beschluss des Rates tätig.
Gemäß Artikel 9 des Beschlusses 1999/468/EG des Rates ist der frühere Beschluss 87/373/EWG vom 13. Juli 1987 (der „Komitologie“-Beschluss 1987) aufgehoben. Die Verfahren gemäß dem Beschluss von 1987 blieben jedoch vorübergehend in Kraft, bis die Basisrechtsakte entsprechend dem Ausschussverfahren des Beschlusses 1999/468/EWG geändert wurden. Dies wurde erreicht entweder durch einzelne Anpassungsrechtsakte oder durch die „Anpassungsverordnungen“ (siehe Abschnitt 1.2).
Zum Dritten legen die Ausschüsse zu Entwürfen für Durchführungsmaßnahmen, die die Kommission ihnen aufgrund von Bestimmungen des Basisrechtsakts vorlegt, Stellungnahmen vor und werden nach den hierfür vorgesehenen Beratungs-, Verwaltungs- oder Regelungsverfahren tätig.
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[Bearbeiten] Entstehung und Entwicklung
Die Ursprünge der Komitologie gehen bis in die frühen 1960er Jahre zurück, als der erste Komitologieausschuss für den Agrarsektor gebildet wurde.
In der Folge wurden unterschiedliche Konsultationsverfahren geschaffen die in den Komitologiebeschlüssen von 1987 und 1999 festgeschrieben sind. Sie räumen der Kommission unterschiedliche Durchführungskompetenzen und den Regierungen der Mitgliedstaaten unterschiedlich starke Kontrollmacht ein. Durch den Beschluss von 1999 wurden darüber dem Europäischen Parlament gewisse Mitspracherechte bezüglich der Durchführungsbefugnisse eingeräumt, die sich aus Rechtsakten ergeben, die nach dem Mitentscheidungsverfahren - und damit unter maßgeblicher Beteiligung des Europäischen Parlaments - erlassen werden.
Heute existieren schätzungsweise mehr als 250 Komitologieausschüsse.
Oft wurden die Komitologie-Ausschüsse als Inbegriff des europäischen Demokratiedefizits angesehen. Unter anderem wurde beanstandet, dass die Komitologie zu wenig transparent und nicht demokratisch legitimiert sei (u.a. weil sich die Ausschüsse eben nicht aus Vertretern zusammensetzen, die vom Volk gewählt wurden). Seit dem 17. Juli 2006 kam es aber zu einer Reform der Komitologie (Beschluss 2006/512/EG): durch sie soll die Stellung des Europäischen Parlaments (als unmittelbar vom Volk gewähltes Organ) gestärkt werden. Ob dies tatsächlich der Fall sein wird, wird sich zukünftig in der Praxis zeigen. So wurde durch die Komitologiereform vom 17. Juli 2006 neben den unten aufgeführten Ausschüssen (Beratungsverfahren, Verwaltungsverfahren und Regelungsverfahren) das "Regelungsverfahren mit Kontrolle" eingeführt. Dadurch bekommt das Europäischen Parlament Kontrollbefugnisse über die Ausschüsse.
[Bearbeiten] Die Komitologie-Verfahren
- Verfahren I -- Beratender Ausschuss: Der Ausschuss gibt eine Stellungnahme zum Kommissionsentwurf ab. Die Kommission hat lediglich die Anweisung, die Stellungnahme „soweit wie möglich“ (ABl. 1987 Nr. L 197/33) zu berücksichtigen. Dieses Verfahren wird im Allgemeinen bei Angelegenheiten von geringer politischer Tragweite angewandt.
- Verfahren II -- Verwaltungsausschussverfahren: Die Kommission erlässt die Maßnahme unabhängig davon, ob sie im Ausschuss Anerkennung gefunden hat, oder nicht. Allerdings muss die Maßnahme unverzüglich dem Rat mitgeteilt werden, sollte sich der Ausschuss mit qualifizierter Mehrheit dagegen ausgesprochen haben. Dieses Verfahren findet im Allgemeinen Anwendung bei Maßnahmen zur Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik oder der Fischereipolitik und zur Durchführung der wichtigsten Gemeinschaftsprogramme.
- Variante II a): Die Kommission kann die Maßnahme (um max. einen Monat) verschieben, der Rat kann innerhalb eines Monats einen anderslautenden Beschluss fassen.
- Variante II b): Die Kommission muss die Maßnahme (um einen im Basisrechtsakt festgelegten Zeitraum) verschieben, der Rat kann innerhalb dieses Zeitraums einen anderslautenden Beschluss fassen.
- Verfahren III -- Regelungsausschussverfahren: Die Kommission kann eine Maßnahme nur erlassen, wenn sich der Ausschuss explizit (mit qualifizierter Mehrheit) dafür ausspricht. Bezieht der Ausschuss nicht zustimmend Stellung, legt die Kommission dem Rat einen Vorschlag vor (Rekurs). Der Rat entscheidet über diesen Antrag innerhalb einer Frist von max. drei Monaten. Diesem Verfahren kommt vor allem bei Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit oder Sicherheit von Menschen, Tieren und Pflanzen sowie bei Maßnahmen, mit denen nicht als wesentlich zu betrachtende Bestimmungen eines Basisrechtsakts geändert werden sollen, Bedeutung zu.
- Variante III a) -- Filet-Variante: Trifft der Rat keine Entscheidung, hat dies zur Folge, dass die vorgeschlagene Maßnahme von der Kommission erlassen wird.
- Variante III b) -- Contre-Filet-Variante: Bei einer ausbleibenden Entscheidung des Rates kann die Maßnahme von der Kommission erlassen werden, außer der Rat spricht sich mit einfacher Mehrheit gegen die Maßnahme aus.
[Bearbeiten] Literatur
- Benedikt Scheel: Die Neuregelungen der Komitologie und das europäische Demokratiedefizit. Zeitschrift für europarechtliche Studien (ZEuS) 521-554 (2006). (Zur der aktuellen Komitologiereform vom 17. Juli 2006)
- Chris Sherwood, Hannah Kaplan: European Union: Understanding Comitology (PDF, 8S.), U.S. Commercial Service, Department of Commerce, 10/2007
- Annette E. Töller. Komitologie. Theoretische Bedeutung und praktische Funktionsweise von Durchführungsausschüssen der Europäischen Union am Beispiel der Umweltpolitik. Opladen: Leske + Budrich (2002)