Entschleunigung
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Mit Entschleunigung wird ein Verhalten beschrieben, aktiv der beruflichen und privaten „Beschleunigung“ des Lebens entgegenzusteuern, d.h. wieder langsamer zu werden oder sogar zur Langsamkeit zurückzukehren. Dem Streben nach Verlangsamung liegt die Auffassung zugrunde, dass die gesellschaftliche und vor allem wirtschaftliche Entwicklung in den entwickelten Industriegesellschaften eine Eigendynamik gewonnen habe, die Hektik und sinnlose Hast in alle Lebensbereiche hineintrage und dabei jedes natürliche und insbesondere menschliche Maß ignoriere.
Komplexität, Effektivität, Hast, Hektik, schneller, höher, weiter, mehr - dem wird die Entschleunigung entgegengesetzt. Dabei geht es nicht um Langsamkeit als Selbstzweck, sondern um angemessene Geschwindigkeiten und Veränderungen in einem umfassenden Sinn: im Umgang mit sich selbst, mit den Mitmenschen und mit der umgebenden Natur.
Der Begriff Entschleunigung (Ent-Schleunigung) wurde erstmals 1979 von Jürgen vom Scheidt in seinem Buch "Singles - Alleinsein als Chance" eingeführt (auf S. 98), danach in drei weiteren seiner Bücher behandelt.
Das Wort tauchte weiter Anfang der 90er Jahre in Publikationen der Evangelischen Akademie Tutzing und des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie auf. Die Idee ist aber älter und mindestens bis in das 19. Jahrhundert zurückverfolgbar, als es in England Tendenzen gab, Eisenbahnen Geschwindigkeiten von mehr als zehn Kilometern pro Stunde zu verbieten.
Der Begriff Entschleunigung wird auch im Rahmen ökologisch orientierter Verkehrspolitik benutzt. Hier ist er in dem Sinne zu verstehen, dass die generelle Einführung von Tempolimits gefordert wird sowie der sinnvolle Ausbau von Bundesstraßen statt neuer Autobahnen.
Der Entschleunigung, der Wiederentdeckung der Langsamkeit hat sich der Verein zur Verzögerung der Zeit verschrieben.
Die Entschleunigung zeigt Wesensmerkmale der Faulheit und Muße, ohne wie diese negativ besetzt zu sein. Tatsächlich hat der stromlinienförmige Begriff der "Entschleunigung" eine solch inflationäre Verbreitung erfahren, weil es allenthalben an Mut fehlt, für die ehrlichere Forderung nach "Verlangsamung" einzustehen. Bei einer kleinen Rücknahme der Beschleunigung braucht niemand eine Drosselung der gewohnten Geschwindigkeit zu fürchten. Verlangsamung hingegen würde das Fortschrittsdenken radikal in Frage stellen.
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[Bearbeiten] Entschleunigungsmaßnahmen
Entschleunigungsmaßnahmen können z. B. im Speziellen die Enthaltsamkeit (Askese), die Führung eines einfachen Lebens (Simple living) bzw. allgemeiner im biologischen Sinne auch alles, was den Energie- und Stoffumsatz verringern hilft, sein.
In sozialer und kultureller Perspektive entwickeln sich zunehmend Maßnahmen mit den Ziel der Entschleunigung, welche sich unter dem Begriff der Slow-Bewegung zusammenfassen lassen.
Als Mitglieder der Slow-Bewegung zählen z. B.:
- Slowfood, Entschleunigung durch langsames und genussvolles Essen
- Cittaslow, Steigerung der Lebensqualität in Städten
- Slowretail, für Läden und Handel mit mehr Wert
[Bearbeiten] Literatur
- Klaus Backhaus/Holger Bonus (Hg.): Die Beschleunigungs-Falle oder der Triumph der Schildkröte. Schäffer-Poeschel, Stuttgart 1994. ISBN 3-7910-0877-3.
- Sten Nadolny: Die Entdeckung der Langsamkeit. Piper, München 1983. ISBN 3-492-10700-1.
- Fritz Reheis: Nachhaltigkeit, Bildung und Zeit. Zur Bedeutung der Zeit im Kontext der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung in der Schule. Schneider, Baltmannsweiler 2005. ISBN 3-89676-964-2.
- Fritz Reheis: Entschleunigung: Abschied vom Turbokapitalismus. München: Riemann 2003. ISBN 3-570-50049-7.
- Fritz Reheis: Die Kreativität der Langsamkeit. Neuer Wohlstand durch Entschleunigung. 2., erw. Aufl. Primus, Darmstadt 1998. ISBN 3-89678-068-9.
- Hartmut Rosa: Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005. ISBN 3-518-29360-5.