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Emser Depesche – Wikipedia

Emser Depesche

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Gedenkstein, der an die Emser Depesche in Bad Ems erinnert
Gedenkstein, der an die Emser Depesche in Bad Ems erinnert

Die Emser Depesche war ein schriftlicher Bericht über die Verhandlungen König Wilhelms I. mit dem französischen Botschafter Vincent Benedetti in Bad Ems. Bismarcks Veröffentlichung einer redigierten Version der Emser Depesche diente Frankreich als Vorwand zur Erklärung des deutsch-französischen Krieges im Sommer 1870.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Hintergrund

1868 war in Spanien Königin Isabella II. gestürzt; der Thron war damit zunächst vakant. Isabella nahm Zuflucht in Frankreich. Zwar gehörte Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen (1835-1905) von Anfang an zu den öffentlich diskutierten Kandidaten, doch wandte sich Juan Prim, Ministerpräsident der Übergangsregierung von Spanien und einer der Anführer des Aufstandes, erst an diese Familie, nachdem drei andere Kandidaturen an der interventionistischen Politik Napoléons III. gescheitert waren, der mit Alfonso, dem Sohn Isabellas, das Haus Bourbon wieder auf den spanischen Thron bringen wollte. Nachdem bereits im September 1869 informell mit der Familie Hohenzollern-Sigmaringen Kontakt aufgenommen worden war, trug der Sonderbotschafter Salazar y Mazaredo in einer begreiflicherweise vertraulichen Mission Leopold die spanische Krone im Februar 1870 an. Wie Leopolds Vater, Karl Anton, zuvor angeregt hatte, wandte sich Salazar in dieser Angelegenheit ebenso vertraulich auch an König Wilhelm I. von Preußen, das Oberhaupt des Gesamthauses Hohenzollern, sowie an Otto von Bismarck, den preußischen Ministerpräsidenten. Prinz Leopold erklärte seine Bereitschaft zur Kandidatur am 19. Juni 1870; Wilhelm, der dem Plan nicht zugeneigt war und ihn stets als Leopolds Privatsache angesehen hatte, erhob zwei Tage später in einer Mitteilung keine Einwände. Die Wahlversammlung der spanischen Cortes wurde auf den 20. Juli festgesetzt. Die Thronbesteigung durch einen Hohenzollern hätte für das ebenfalls hohenzollerisch regierte Preußen und damit für den norddeutschen Bund außenpolitisch vorteilhaft sein können. Dies mag ein Grund dafür gewesen sein, dass Bismarck, der in einer Anweisung an das Preußische Außenamt die Absetzung des Hauses Bourbon als eine friedenssichernde Maßnahme bezeichnet hatte, die Kandidatur Leopolds förderte.

Spätestens am 1. Juli wurde die Kandidatur in Madrid bekannt, am 2. Juli berichtete die französischen Presse, und am 3. Juli unterrichtete Prim den französischen Botschafter in Madrid. Kaiser Napoléon III. und sein Kabinett unter Ministerpräsident Ollivier befürchteten in dieser Situation eine außenpolitische Umklammerung und einen deutschen diplomatischen Triumph. Eine ganz wichtige Rolle spielte der Herzog von Gramont, der erst Mitte Mai französischer Außenminister geworden war. Als Diplomat hatte er sich durch eine strikte antipreußische Linie ausgezeichnet, so dass seine Ernennung zu der Vermutung Anlass gab, Kaiser Napoléon wolle von jetzt an die französische Außenpolitik dementsprechend führen.

Bismarck
Bismarck

Bei der Beurteilung einer außenpolitischen Krise und ihres Managements sind vorrangig die diplomatischen Ursachen der Zeit zu berücksichtigen. Eine besonnene und findige Diplomatie hätte darin bestehen können, dass sich Kaiser Napoléon an König Wilhelm „von Haus zu Haus“ und das Außenministerium an die preußische Staatsregierung gewendet und um Einflussnahme auf Leopold ersucht hätten, seine Entscheidung zu überdenken. Stattdessen suchte Gramont von Anfang an mit scharfen antipreußischen Erklärungen die Öffentlichkeit. Als erstes lancierte er einen entsprechenden Artikel in der offiziösen Zeitung Constitutionnel, der einen Umschwung in die bisher ausgewogene Berichterstattung brachte. Am selben Tag noch teilte er den europäischen Hauptstädten die französische Sicht der Dinge mit. Am 6. Juli verlas er eine von Kaiser Napoléon gutgeheißene und von der Regierung einstimmig gebilligte scharfe Erklärung vor der Chambre législative, wonach Frankreich eine solche Entwicklung nicht hinnehme und, sollte es doch dazu kommen, ohne Zögern seine Pflicht tun werde; eine kaum verschleierte Kriegsdrohung:

La France ne tolérerait pas l’établissement du prince de Hohenzollern ni d’aucun prince prussien sur le trône espagnol. Pour empêcher cette éventualité, il [le gouvernement] comptait à la fois sur la sagesse du peuple allemand et sur l’amitié du peuple espagnol. S’il en était autrement, fort de votre appui et de celui de la Nation, nous saurions remplir notre devoir sans hésitation et sans faiblesse.

Zu deutsch:

Frankreich würde nicht dulden, dass der Prinz von Hohenzollern oder sonst irgendein preußischer Prinz den spanischen Thron besteigt. Um diesen möglichen Fall zu verhindern, zählt die Regierung zugleich auf die Klugheit des deutschen Volkes und auf die Freundschaft des spanischen Volkes. Sollte es jedoch anders kommen, so wüssten wir kraft Ihrer (der Abgeordneten) Unterstützung und derjenigen der Nation ohne Zögern und ohne Schwäche unsere Pflicht zu tun.

Der französische Historiker Albert Sorel nannte diese Erklärung ein Ultimatum. Ein Ultimatum ist freilich in der Diplomatie der letzte Schritt, nachdem alle anderen friedlichen Mittel versagt haben. Frankreich ging diesen Schritt jedoch gleich am Anfang. Das hatte zwei Folgen: Zusammen mit Protesten gegenüber König Wilhelm, der nun im Sinne seiner Überzeugung Einfluss auf die Familie Hohenzollern-Sigmaringen nahm, und mit direkten Interventionen europäischer Regierungshäuser bei dieser Familie entstand so viel Druck, dass Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen, Leopolds Vater, am 12. Juli im Namen seines Sohnes den Verzicht auf die spanische Königswürde erklärte.

Frankreich hatte sein primäres Ziel erreicht, einen preußischen Prinzen auf dem spanischen Thron zu verhindern. Nun aber griff die zweite, die innenpolitische Folge der Erklärung vom 6. Juli. So wie sie formuliert war, hatte sie beim Corps législatif und der französischen Öffentlichkeit die Erwartung erweckt, der Staat Preußen werde umgehend Frankreich gegenüber Genugtuung leisten. So hatte sich die Regierung selbst unter Druck gesetzt, sich aber zugleich fast gänzlich der noch verbleibenden diplomatischen Mittel beraubt.

Dies war zwar, oberflächlich betrachtet, ein außenpolitischer Erfolg für Frankreich, jedoch kein sehr durchschlagender. In der französischen Öffentlichkeit konnte – vollkommen zu Recht – der Eindruck entstehen, dass der Druck der französischen Regierung zwar auf die Familie von Hohenzollern-Sigmaringen gewirkt hatte; Preußen als der eigentliche Gegenspieler Frankreichs hatte jedoch keine Konzessionen machen müssen. Das Kabinett Ollivier, durch eine Serie unrühmlicher außenpolitischer Niederlagen ohnedies unter Erwartungsdruck der Öffentlichkeit, versuchte deshalb, Wilhelm I. als Oberhaupt des Hauses Hohenzollern und König von Preußen ein eindeutiges Bekenntnis abzuverlangen. Wilhelm I. hielt sich zur Kur in Bad Ems auf, und der französische Botschafter in Preußen, Vincent Benedetti, war ihm dahin nachgereist. Außenminister Gramont, der mit dem Botschafter in ständigem telegraphischen Kontakt stand, beauftragte ihn deshalb, von König Wilhelm I. zu verlangen, dass er die Rücknahme der Kandidatur ausdrücklich billige und dass er auch einschreiten würde, falls die Hohenzollern doch wieder auf die Kandidatur zurückkämen. Er stellte dies als ein natürliches, gerechtfertigtes Ansinnen dar: Der Hohenzollersche Rückzug sei für Frankreich ja wenig wert, wenn die Hohenzollern sich jederzeit wieder um den spanischen Thron bewerben könnten. Würde sich dagegen Wilhelm I. verpflichten, seine Autorität als Haupt des Gesamthauses Hohenzollern einzusetzen, um dies zu verhindern, so wäre diese Zusicherung für Frankreich von enormem Wert. Dagegen sei es für den König ein Geringes, wenn er den Rückzug tatsächlich billige und keine Hintergedanken hege, diese Zusicherung abzugeben.

[Bearbeiten] Emser Audienz

Emser Audienz
Emser Audienz

Gramont telegraphierte diese Instruktionen am 12. Juli abends an Benedetti. Dieser war aus Paris bereits über den Rückzug der Hohenzollern informiert, wartete aber darauf, dass Wilhelm I. auch selbst Nachricht von seinen Verwandten aus Sigmaringen erhielt. Sobald diese eintraf, wollte der König ihn empfangen; aufgrund der neuen Forderung wartete Benedetti dies jedoch nicht ab, sondern versuchte sofort am Morgen des 13. Juli eine Audienz zu erhalten. Der König war bereits zu einem morgendlichen Spaziergang aufgebrochen, und Benedetti suchte ihn auf der Kurpromenade auf.

Die nun von Benedetti vorgebrachte neue Forderung lehnte Wilhelm kategorisch ab, da er es nicht verantworten könne, eine Zusage für alle Zukunft zu treffen; vielmehr wollte er sich vorbehalten, sollte die Situation später einmal erneut eintreffen, wie in allen anderen Dingen auch die Umstände in Betracht zu ziehen und erneut zu entscheiden. Davon abgesehen war die Nachricht aus Sigmaringen immer noch nicht eingetroffen. Diese traf erst im Laufe des Tages in Form eines Briefes von Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen ein. König Wilhelm ließ Benedetti durch seinen Adjutanten Fürst Radziwill mitteilen, dass die Nachricht offiziell bestätigt sei. Eine Bitte Benedettis um eine erneute Audienz ließ er zurückweisen mit der Begründung, dass er, soweit es das Garantieversprechen beträfe, sein letztes Wort gesprochen habe.

Bismarcks enger Mitarbeiter Heinrich Abeken, der den König in Bad Ems begleitete, notierte noch am selben Tage Wilhelms Bericht über die Ereignisse und telegraphierte diesen an den Ministerpräsidenten. Dieser Brief war die eigentliche Emser Depesche, die dann in Bismarcks Version in die Geschichte einging. Er hatte folgenden Wortlaut:

Seine Majestät der König schreibt mir:
„Graf Benedetti fing mich auf der Promenade ab, um auf zuletzt sehr zudringliche Art von mir zu verlangen, ich sollte ihn autorisiren, sofort zu telegraphiren, dass ich für alle Zukunft mich verpflichtete, niemals wieder meine Zustimmung zu geben, wenn die Hohenzollern auf ihre Candidatur zurückkämen.
Ich wies ihn zuletzt, etwas ernst, zurück, da man à tout jamais dergleichen Engagements nicht nehmen dürfe noch könne.
Natürlich sagte ich ihm, dass ich noch nichts erhalten hätte und da er über Paris und Madrid früher benachrichtigt sei als ich, er wohl einsähe, dass mein Gouvernement wiederum außer Spiel sei.”
Seine Majestät hat seitdem ein Schreiben des Fürsten bekommen.
Da Seine Majestät dem Grafen Benedetti gesagt, dass er Nachricht vom Fürsten erwarte, hat Allerhöchstderselbe, mit Rücksicht auf die obige Zumuthung, auf des Grafen Eulenburg und meinen Vortrag, beschlossen, den Grafen Benedetti nicht mehr zu empfangen, sondern ihm nur durch einen Adjutanten sagen zu lassen: dass Seine Majestät jetzt vom Fürsten die Bestätigung der Nachricht erhalten, die Benedetti aus Paris schon gehabt, und dem Botschafter nichts weiter zu sagen habe.
Seine Majestät stellt Eurer Excellenz anheim, ob nicht die neue Forderung Benedettis und ihre Zurückweisung sogleich, sowohl unsern Gesandten, als in der Presse mitgeteilt werden sollte.

Daraufhin redigierte und kürzte Bismarck das Telegramm stark und las diese gekürzte Fassung ebenfalls seinen Gästen vor. Sie lautete wie folgt:

Nachdem die Nachrichten von der Entsagung des Erbprinzen von Hohenzollern der Kaiserlich Französischen Regierung von der Königlich Spanischen amtlich mitgeteilt worden sind, hat der Französische Botschafter in Ems an S. Maj. den König noch die Forderung gestellt, ihn zu autorisieren, dass er nach Paris telegraphiere, dass S. Maj. der König sich für alle Zukunft verpflichte, niemals wieder seine Zustimmung zu geben, wenn die Hohenzollern auf ihre Kandidatur wieder zurückkommen sollten.
Seine Maj. der König hat es darauf abgelehnt, den Franz. Botschafter nochmals zu empfangen, und demselben durch den Adjutanten vom Dienst sagen lassen, dass S. Majestät dem Botschafter nichts weiter mitzutheilen habe.

Aus dieser neuen Fassung ging nicht mehr hervor, dass König Wilhelm I. eine Unterredung mit dem französischen Botschafter gehabt und ihm seine Ablehnung erläutert hatte; lediglich die französische Forderung und die Verweigerung einer weiteren Audienz wurden in knappen Worten berichtet.

Durch diese Kürzungen konnte die Meldung leicht den Eindruck erwecken, Benedetti sei in Bad Ems in ungebührender Weise aufgetreten, und weitere diplomatische Kontakte seien vom König abgelehnt worden.

Sofort schlug die Stimmung Roons und Moltkes von Niedergeschlagenheit in lebhafte Freude um. Bismarck erläuterte seinen Gästen, dass die sofortige Veröffentlichung seiner Version "den Eindruck des roten Tuches auf den gallischen Stier machen" würde, der nun schlagen müsse, und dann als Angreifer dastehe. Moltke sagte wörtlich: "Wenn ich das noch erlebe, in solchem Kriege unsere Heere zu führen, so mag gleich nachher die alte Karkasse der Teufel holen."

Vor der Freigabe des Textes an die Presse erkundigte sich Bismarck noch bei General Moltke nach dem Stande der Rüstung. Er wollte wissen, wie viel Zeit zur Vorbereitung eines erfolgreichen Krieges notwendig sei. Moltke hielt den schnellen Ausbruch eines Krieges im Ganzen für vorteilhafter als eine Verschleppung.

Bismarck gab der Presse diese gekürzte Fassung zur Veröffentlichung frei, die noch am 13. Juli von der regierungsnahen „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung” in einer Sondernummer veröffentlicht wurde.

[Bearbeiten] Französische Reaktion

Die französische Öffentlichkeit reagiert auf die Veröffentlichung durchaus bereitwillig mit der von Bismarck einkalkulierten Empörung. Gelegentlich betrifft die Reaktion aber auch nur unwesentliche Dinge: so heißt es beispielsweise in einem Artikel, dass „Adjutant” nicht korrekt als „aide de camp”, sondern wörtlich als „adjudant” (Feldwebel) übersetzt worden sei. Ob dies tatsächlich der Fall war, sei dahingestellt, in jedem Fall konnte Bismarcks Darstellung den Eindruck erwecken, dass Preußen die Forderung Frankreichs, die der französischen Öffentlichkeit gerecht erscheinen musste, als unverschämt empfand und brüsk zurückgewiesen hatte. Vorsicht ist sicher davor angebracht, in Bismarcks Darstellung und insbesondere ihrer Form den einzigen Kriegsauslöser auszumachen, etwa dahingehend, dass Frankreich „nach den damaligen Ehrenvorstellungen” nicht anders als durch Kriegserklärung hätte antworten können, um sein Gesicht nicht zu verlieren oder dergleichen. Auch ohne Bismarcks Veröffentlichung hätte sich die Frage gestellt, wie die französische Regierung auf die Zurückweisung ihrer Forderung reagieren sollte. Die Kriegsdrohung stand noch im Raum und war auch ernstgemeint, nicht zuletzt deshalb, weil die Franzosen ihre Erfolgsaussichten im Kriegsfall drastisch falsch einschätzten. Da die französische Öffentlichkeit noch gar nichts von der neuen Forderung wusste, hätte aber auch die Möglichkeit bestanden, den Misserfolg in Stille hinzunehmen. Durch Bismarcks Pressemitteilung war dieser Weg versperrt und ebenso die Möglichkeit, die Darstellung noch irgendwie zu schönen.

Die von Bismarck erhoffte Kriegserklärung Frankreichs an Preußen erfolgte fünf Tage später, am 19. Juli 1870.

[Bearbeiten] Literatur

  • Vincent Benedetti: Ma mission en Prusse. 2. Ausgabe. Plon, Paris 1871.
  • Wilhelm Langewiesche-Brandt: Bismarck - Briefe, Reden, Erinnerungen, Berichte und Anekdoten. Einundfünfzigstes bis sechzigstes Tausend, Ebenhausen bei München, 1915.
  • Eberhard Kolb: Der Kriegsausbruch 1870: Politische Entscheidungsprozesse und Verantwortlichkeiten in der Julikrise 1870. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1970.
  • David Wetzel: A Duel of Giants: Bismarck, Napoleon III, and the Origins of the Franco-Prussian War. University of Wisconsin Press, Madison, Wisc. 2001.
  • Albert Sorel: Histoire diplomatique de la guerre franco-allemande. Paris 1875.

[Bearbeiten] Weblinks


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