Bundeskanzler (Österreich)
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Der Bundeskanzler ist der Vorsitzende der österreichischen Bundesregierung und als Regierungschef Österreichs der realpolitisch mächtigste Politiker des Landes.
Anders als etwa in Deutschland hat der österreichische Bundeskanzler gegenüber den Bundesministern keine Richtlinienkompetenz. Er ist nach der Verfassung den übrigen Mitgliedern der Bundesregierung rechtlich gleichgestellt, er ist also „primus inter pares“. Da aber jeder Minister vom Bundespräsidenten auf seinen Vorschlag ernannt wird und er auch die Abberufung vorschlagen kann, ist seine Stellung im politischen System Österreichs trotzdem herausragend. Der Amtssitz des Bundeskanzlers ist das Bundeskanzleramt. Der gegenwärtige Amtsinhaber ist Alfred Gusenbauer (SPÖ).
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[Bearbeiten] Ernennung, Entlassung
Die Ernennung des Bundeskanzlers erfolgt seit der Verfassungsnovelle vom 7. Dezember 1929 (BGBl. 392/1929) durch den Bundespräsidenten (bis dahin wurde die Bundesregierung vom Nationalrat gewählt), welcher de jure in der Wahl der Person vollkommen frei ist, de facto jedoch auf die Mehrheitsverhältnisse im Nationalrat Rücksicht nehmen muss. Der Bundeskanzler schlägt dem Bundespräsidenten die übrigen Mitglieder der Bundesregierung zur Ernennung vor. Mit der Vereidigung ist die Bundesregierung (und mit ihr der Bundeskanzler) sofort handlungsfähig, eine Bestätigung durch den Nationalrat ist nicht notwendig. Der Nationalrat kann der Bundesregierung oder einzelnen Bundesministern jedoch jederzeit das Misstrauen aussprechen, das den Bundespräsidenten zur Entlassung der Regierung bzw. des Regierungsmitglieds verpflichtet. Einzelne Minister entlässt der Bundespräsident auch auf Vorschlag des Bundeskanzlers.
[Bearbeiten] Amtszeit
Die Amtszeit des Bundeskanzlers ist nicht zeitlich beschränkt wie etwa die des Bundespräsidenten oder des Nationalrates, sondern die Ernennung erfolgt zeitlich unbefristet. Die Ernennung des Bundeskanzlers und der übrigen Bundesminister durch den Bundespräsidenten hat verfassungsrechtlich auch nichts mit den Wahlen zum Nationalrat zu tun, auch nicht mit der Amtszeit und der Volkswahl des Bundespräsidenten. Die Bundesregierung reicht dennoch im Normalfall nach der Nationalratswahl geschlossen ihren Rücktritt beim Bundespräsidenten ein ("Demissionierung"). Dies ist rechtlich aber nicht zwingend, sondern ledglich eine Ehrerbietung den demokratischen Wahlen und dem Bundespräsidenten gegenüber. Unter Umständen möchte man auch einem Mißtrauensantrag im Nationalrat durch die geänderten Mehrheitsverhältnisse zuvorkommen. Theoretisch könnte daher eine Bundesregierung zu jeder anderen Zeit ebenfalls grundlos demissionieren, etwa auch nach der Wahl eines neuen Bundespräsidenten, was verfassungsrechtlich konsequenter wäre, da der Bundespräsident auch den Bundeskanzler eigenmächtig ernennt. Das Amt des Bundeskanzlers endet daher de jure niemals durch Zeitablauf. Sollte der Bundeskanzler nach einer Wahl nicht demissionieren, könnte nur der Nationalrat einen Mißtrauensantrag stellen oder der Bundespräsident den Bundeskanzler entlassen, wenn man die Regierungsperiode an die Gesetzgebungsperiode binden will.
[Bearbeiten] Realpolitische Stellung
Der Bundeskanzler - im Volksmund schlicht als "Kanzler" bezeichnet - gilt allgemein als der realpolitisch mächtigste Politiker in Österreich, obwohl dies in Koalitionsregierungen (fast) gleichstarker Partner nicht der Fall sein muss bzw. kann. Protokollarisch steht der Kanzler an vierter Stelle hinter dem Bundespräsidenten und den Präsidenten des Nationalrates und des Bundesrates.
Der Bundeskanzler leitet die von ihm (meist wöchentlich) einberufenen Sitzungen der Bundesregierung (Ministerrat), in denen die Regierungsarbeit formal koordiniert wird. Vom Ministerrat beschlossene Regierungsvorlagen – das sind Gesetzentwürfe aus Ministerien, die nach dem so genannten Begutachtungsverfahren (bei dem Stellungnahmen aller Ministerien, aller Bundesländer und vieler Interessenvertretungen eingeholt werden) und darauf allenfalls folgenden Entwurfskorrekturen die Zustimmung aller Minister gefunden haben – leitet der Kanzler zur Behandlung im Parlament an das Nationalratspräsidium weiter. Vom Parlament beschlossene und vom Bundespräsidenten unterzeichnete ("beurkundete") Gesetze hat der Bundeskanzler laut Verfassung gegenzuzeichnen. Nur mit den Unterschriften dieser beiden Staatsorgane erlangen Gesetze Rechtskraft. Sie sind vom Bundeskanzler unverzüglich im Bundesgesetzblatt zu verlautbaren.
Der Bundeskanzler hat in Österreich keine Richtlinienkompetenz gegenüber den Bundesministern wie etwa der deutsche Bundeskanzler, sodass er de jure die politischen Grundsätze nicht vorgeben kann. Seine herausragende Stellung besteht in seiner Rolle bei der Ernennung und Entlassung von Bundesministern, Vorgängen, bei denen der Bundespräsident zumeist "auf Vorschlag des Bundeskanzlers" agiert. (Bei der Entlassung der gesamten Bundesregierung oder des Bundeskanzlers selbst wird der Bundespräsident ohne Vorschlag tätig.) De facto kann der Bundeskanzler in einer typischerweise bestehenden Koalitionsregierung aber keinen Minister seines Koalitionspartners zur Entlassung vorschlagen, da die andere Partei dann wohl die Koalition aufkündigen würde und dadurch die parlamentarische Mehrheit (und somit der Bundeskanzler selbst) gefährdet wäre.
Die realpolitische Stärke des Bundeskanzlers ergibt sich daher meist aus der Autorität seiner Person und aus der Tatsache, dass er meist auch Chef der stimmenstärksten Partei ist. Mehr Gewicht hat der Bundeskanzler, wenn auch der Finanzminister sein Vertrauensmann ist und mit ihm gemeinsam agiert. Der Bundeskanzler benötigt nämlich - wie auch die übrigen Bundesminister - in Budgetfragen die Zustimmung des Finanzministers.
Dass sich eine realpolitische Vormachtstellung des Bundeskanzlers aber auch ohne die typische realpolitische Umgebung des Bundeskanzlers ergeben kann, zeigte die erste Amtszeit von Wolfgang Schüssel, der im Jahr 2000 nur der drittstärksten Partei vorstand, die auch nicht den Finanzminister stellte. Der Einfluss des Bundeskanzlers ist daher hauptsächlich durch den Einfluss des Organwalters in seiner eigenen politischen Partei gekennzeichnet.
Als "primus inter pares" ist der Bundeskanzler im Ministerrat bei Abstimmungen den übrigen Bundesministern gleichgestellt. Er kann (als Ergebnis der Verhandlungen zur Bildung seiner Regierung) im Bundeskanzleramt auch Materien verantwortlich leiten, die sonst einem Ressortminister zufallen. Vor der Einrichtung eines eigenständigen Außenministeriums betreute der Bundeskanzler auch die auswärtigen Angelegenheiten; später gab es einen Kunstkanzler, der Kunstagenden wahrnahm. Der derzeitige Kanzler ist auch Sportminister.
In der gegenwärtigen Bundesregierung steht der sozialdemokratische Bundeskanzler Alfred Gusenbauer dem konservativen Finanzminister und Vizekanzler Wilhelm Molterer gegenüber, sodass die Möglichkeiten des Kanzlers begrenzt sind. Eine derartige Konstellation ermöglicht eine Pattstellung in der Regierung. Annähernd gleichstarke Koalitionsparteien teilen sich daher oft die beiden Ämter auf (im Jahr 2000 konservativer Bundeskanzler und freiheitlicher Finanzminister bei Mandatsgleichheit im Nationalrat, seit 2007 sozialdemokratischer Bundeskanzler und konservativer Finanzminister). Da der gegenwärtige Finanzminister auch das Amt des Vizekanzlers innehat, das ähnlich wie das des Bundeskanzlers juristisch nicht mit besonderen Mitteln gegenüber den anderen Bundesministern ausgestattet ist und die beiden Koalitionsparteien annähernd gleich stark im Parlament vertreten sind, schwächt die Ämterkombination aus Vizekanzler und Finanzminister den Bundeskanzler realpolitisch deutlich.
In Zeiten der Überlegenheit des größeren Koalitionspartners und hohen Einflusses des Amtsinhabers in der eigenen Partei oder bei einer Alleinregierung, wie sie in der Zweiten Republik bisher nur unter den Kanzlern Klaus und Kreisky bestand, hat der Bundeskanzler eine deutlich mächtigere Stellung in der Innenpolitik.
[Bearbeiten] Liste der Bundeskanzler Österreichs
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Zeitleiste: Österreichische Bundeskanzler seit 1945 |