Jordansche Normalform

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Die jordansche Normalform ist ein Begriff aus dem mathematischen Teilgebiet der linearen Algebra. Sie ist ein einfacher Vertreter der Äquivalenzklasse der zu einer trigonalisierbaren Matrix (trigonalisierbaren linearen Abbildung) ähnlichen Matrizen (linearen Abbildungen). Die Trigonalisierbarkeit ist gleichbedeutend damit, dass das charakteristische Polynom der Matrix (linearen Abbildung) vollständig in Linearfaktoren zerfällt. Benannt wurde die jordansche Normalform nach Marie Ennemond Camille Jordan, der sie 1871 im Zusammenhang mit der Lösung komplexer Differentialgleichungssysteme für komplexe Matrizen herleitete.

Die jordansche Normalform zu einer quadratischen Matrix A ist eine Matrix J in der folgenden Blockdiagonalform

 J= \begin{pmatrix}
J_1 &          & 0   \\
    & \ddots &     \\ 
  0 &          & J_k \end{pmatrix}
= Q^{-1}AQ .

Die Matrix Q ist die Matrix der Eigenvektoren und Hauptvektoren, aus denen sie spaltenweise besteht. Q − 1 bezeichnet dabei die inverse Matrix von Q.

Die Ji sind die Jordan-Blöcke. Diese haben folgende Form:

 J_i= \begin{pmatrix} \lambda_i & 1 &  &  & 0 \\  & \lambda_i & 1 &  &  \\ && \ddots{} & \ddots{}\\ &&& \lambda_i & 1 \\ 0 &  & &  & \lambda_i \end{pmatrix} .

Die λi sind dabei die Eigenwerte von A. Zu jedem Eigenwert λi gibt es seiner geometrischen Vielfachheit entsprechend viele Jordan-Blöcke. (Die geometrische Vielfachheit ist dabei die Dimension des Eigenraums zum Eigenwert λi.) Die Gesamtdimension aller Jordan-Blöcke eines Eigenwertes entspricht seiner algebraischen Vielfachheit, d. h. seiner Vielfachheit im charakteristischen Polynom.

In einem Jordanblock sind die sogenannten Jordanketten „gespeichert“ (siehe Hauptvektor). Besteht A z. B. nur aus einem Jordanblock mit Eigenwert λ und bezeichne vj den j-ten Hauptvektor (dabei ist v1 der Eigenvektor zum Eigenwert λ), dann gilt (A − λE)v1 = 0 und (A − λE)vj + 1 = vj für j=1,\dots,n-1.

Im Spezialfall einer diagonalisierbaren Matrix ist die jordansche Normalform eine Diagonalmatrix.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Zur Form von Q

Es seien \vec h_{i,1}, \ldots, \vec h_{i,l}, \ldots, \vec h_{i,n_j} die Hauptvektoren der jeweils l-ten Stufe, wobei nj die Dimension des j-ten Jordankästchens ist.

Dann ist Q, definiert durch


Q := \vec h_{1,1} , \ldots{} ,\vec h_{1,n_1} , \ldots{} ,  \vec h_{k,1}  , \ldots , \vec h_{k,n_k},

eine Transformationmatrix, welche die Jordan-Normalform von A herstellt, wobei k die Anzahl der Jordankästchen war.

In Worten: Die Spalten von Q sind die Eigenvektoren mit den dazugehörigen Hauptvektoren in der Reihenfolge der dazugehörigen Jordankästchen. Beachte allerdings, dass Q nicht eindeutig bestimmt ist.

[Bearbeiten] Algorithmus zur Bestimmung einer komplexen jordanschen Normalform

Für die jordansche Normalform eines Endomorphismus u: V \to V eines n-dimensionalen \mathbb C-Vektorraums V wählt man eine Basis a=(a_{1}, \ldots,a_{n}) des Vektorraums V und berechnet die jordansche Normalform der Matrix von u in Bezug auf die Basis a, i. e. die Matrix zum Basiswechsel Ma(u).

Im Folgenden wird die jordansche Normalform einer (quadratischen) Matrix bestimmt. Die jordansche Normalform existiert genau dann, wenn alle Eigenwerte im Körper \mathbb K liegen, über dem man die jordansche Normalform betrachtet.

Sei im Folgenden V = \mathbb{C}^n, A\in M_{n}(\mathbb C), 
\lambda\in \mathbb C und En die Einheitsmatrix.

[Bearbeiten] Bestimmung der Eigenwerte

Mit Hilfe des charakteristischen Polynoms

χA = det(λEnA)

errechnet man aus seinen Nullstellen die (paarweise verschiedenen) Eigenwerte

\lambda_{1}, \ldots ,\lambda_{k} .

Die Eigenwerte werden hier also nicht ihrer Vielfachheit entsprechend aufgeführt.

[Bearbeiten] Bestimmung der Größe der Jordanblöcke

Hierfür muss man die Dimension der Potenzen der Eigenräume bestimmen.

Das heißt, man berechnet \dim_{\mathbb C}\ker(A - \lambda_{i}E)^{s} für 1 \leq i \leq k und s \geq 0.

Die Dimension des Kerns erhält man wiederum aus dem Dimensionssatz: \dim_{\mathbb C}(V)=\dim_{\mathbb C}\ker(A)+\mathrm{rg}(A). Der Rang von A kann z. B. mit dem Gauß'schen Algorithmus bestimmt werden. Die Dimension wird ab einem bestimmten Wert für s (spätestens bei der Vielfachheit des Eigenwertes im charakteristischen Polynom) stationär.

Mit a_{s}:=\dim_{\mathbb C}\ker(A - \lambda_{i}E)^{s} definiert man also positive Zahlen, um mit der Formel 2asas − 1as + 1 die Anzahl der Jordankästchen der Größe s zum Eigenwert λi zu erhalten.

[Bearbeiten] Komplexe jordansche Normalform

Die erhaltenen Jordanblöcke schreibt man in eine Matrix und erhält die komplexe jordansche Normalform einer Matrix.

Haben die Kästchen allesamt die Größe 1, liegt der Spezialfall einer Diagonalmatrix vor, und A ist somit diagonalisierbar.

Das Minimalpolynom g\in \mathbb C[X] von A erhält man aus g=\prod_{i=1}^{k}(X-\lambda_{i})^{m_{i}}, worin mi die Größe des größten Jordanblocks zum Eigenwert λi bezeichnet.

Die jordansche Normalform ist bis auf die Reihenfolge der Kästchen eindeutig bestimmt. Sofern alle Eigenwerte in \mathbb K liegen, sind zwei Matrizen, welche dieselbe jordansche Normalform haben, zueinander ähnlich.

[Bearbeiten] Beispiel

Betrachte die Matrix A\in M_{5}(\mathbb C), definiert vermöge

A:=\begin{pmatrix} 25 & -16 & 30 & -44 & -12 \\ 13 & -7 & 18 & -26 & -6 \\ 
-18 & 12 & -21 & 36 & 12 \\ -9 & 6 & -12 & 21 & 6 \\ 11 & -8 & 15 & -22 & -3 \end{pmatrix} .

Ihr charakteristisches Polynom lautet χ(A) = (X − 3)5. Somit besitzt diese Matrix genau einen Eigenwert, nämlich 3.

Nun berechnen wir die as für 0\leq s\leq 5.

rg(A − 3E5)0 ist die Einheitsmatrix, und diese hat vollen Rang, also 5. Die Dimension des Vektorraumes  V := {\mathbb C}^5 beträgt ebenso 5. Also ist a_{0}=\dim_{\mathbb C}(V)-\mathrm{rg}(A-3E_{5})^{0}=5-5=0.

rg(A − 3E5)1 = 2. Somit ist a_{1}=\dim_{\mathbb C}(V)-\mathrm{rg}(A-3E_{5})^{1}=5-2=3.

\mathrm{rg}(A-3E_{5})^{2}= \cdots =\mathrm{rg}(A-3E_{5})^{5}=0. Damit ist a_{2}= \cdots =a_{5}=5-0=5.

Die Anzahl der Jordankästchen mit Größe 1 sind 2a1a0a2 = 6 − 0 − 5 = 1 Stück.

Die Anzahl der Jordanblöcke mit Größe 2 sind 2a2a1a3 = 10 − 3 − 5 = 2 Stück.

Den anderen Kästchen bleibt jetzt nichts mehr anderes übrig, als die Größe 0 zu haben.

Somit ist \begin{pmatrix} 3&1&0&0&0 \\ 0&3&0&0&0 \\ 0&0&3&1&0 \\ 0&0&0&3&0 \\ 0&0&0&0&3 \end{pmatrix} die jordansche Normalform von A.

Das Minimalpolynom von A ist (X − 3)2.

[Bearbeiten] Reelle jordansche Normalform

Betrachtet man Matrizen über den reellen Zahlen  \mathbb R, so kann es passieren, dass das charakteristische Polynom nicht in Linearfaktoren zerfällt (also komplexe Nullstellen besitzt).

Da man in diesem Fall die komplexe jordansche Normalform nicht verwenden kann (sie hätte Einträge aus  \mathbb C sowie eine komplexe Transformationsmatrix), führt man die reelle Jordanform ein.

Sei λj = aj + bji Eigenwert, dann ist auch  \bar \lambda_j = a_j - b_j i Eigenwert derselben Vielfachheit, wobei i2 = − 1.

Die Jordan-Blöcke Jj haben im Fall b_j \neq 0 folgende Form:

 J_j= \begin{pmatrix} 
a_j & b_j & 1 & & & & & 0 \\
-b_j & a_j & 0 & 1& & & &  \\ 
& & a_j & b_j & 1 & &  &  \\
& & -b_j & a_j & 0 & 1&  &  \\
&&& \ddots{} & \ddots{} & \ddots{} & \ddots{} & \\
&&&& \ddots{} & \ddots{} & 0 & 1  \\ 
&&&&& \ddots{} & a_j & b_j  \\
0 &&&&& & -b_j & a_j \\ 

\end{pmatrix},

und für die Matrix J gilt immer noch:

 
   J= \begin{pmatrix}
        J_1 &  & 0 \\
         & \ddots{}& \\ 
        0 &  & J_k 
      \end{pmatrix}
   = Q^{-1}AQ
,

allerdings für ein anderes Q, welches nun eine reelle Transformationsmatrix ist.

[Bearbeiten] Lineare Differentialgleichungssysteme

Die jordansche Normalform ist eng verknüpft mit linearen Differentialgleichungssystemen y'(x) = Ay(x) für eine (konstante) Matrix A \in M_n(\mathbb{K}) mit reellen oder komplexen Koeffizienten. Das korrespondierende Anfangswertproblem zu y(0)=y0 hat als Lösung

y(x)=\exp(xA)y_0 = \sum_{k=0}^\infty\frac{x^kA^k}{k!}y_0=y_0+x\cdot Ay_0+\frac{x^2}{2}\cdot A^2y_0+\cdots ..

Hierin bezeichnet \exp: M_n(\mathbb{K}) \rightarrow GL(n; \mathbb{K}) die Matrixexponentialfunktion.

Gilt Amy0 = 0 für ein geeignetes m, so bricht die Potenzreihe ab, und das System hat somit eine polynomiale Lösung vom Grad kleiner m. Dies ist insbesondere der Fall, wenn A eine nilpotente Matrix ist.

Man kann jetzt die Kerne der Matrixpotenzen bestimmen; für diese gilt \ker A\subset \ker A^2\subset\cdots\subset\ker A^n. Bestimmt man nun eine zu dieser Schachtelfolge von Unterräumen angepasste Basis von \ker A^n, so erhält man die Jordan-Blöcke zum Eigenwert λ = 0. Ist zum Beispiel Am + 1v = 0, aber A^mv \neq 0, so sind v,Av,\dots,A^m v linear unabhängig und der Schachtelfolge angepasst.

Für den allgemeinen Fall macht man den Ansatz y(x) = exp(λx)u(x); es ergibt sich für u die Differentialgleichung u' = (A − λI)u. Damit der maximale Kern \ker (A - \lambda I)^n nichttrivial ist, muss λ ein Eigenwert, d. h. Nullstelle des charakteristischen Polynoms det(A − λI), von A sein. Die Kerne unterschiedlicher Eigenwerte sind transversal zueinander, so dass eine gemeinsame, den jeweiligen Kernen angepasste Basis des gesamten n-dimensionalen Raumes gefunden werden kann. Für jedes Basiselement ergibt sich eine Lösung y(x) = expx)u(x) mit polynomialem u, und jede Lösung kann aus diesen zusammengesetzt werden (Superpositionsprinzip). Nach geeignetem Sortieren der angepassten Basis und Transformation von A in diese Basis ergibt sich die jordansche Normalform.

[Bearbeiten] Weblinks