Topos (Geisteswissenschaft)
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Unter Topos (der, Plural Topoi; von gr. τόπoς, "Ort, Gemeinplatz"; lat. locus communis) versteht man einen Ort im übertragenen Sinn, aber auch eine Formkategorie. Im modernen Verständnis bedeutet Topos Gemeinplatz, stereotype Redewendung, vorgeprägtes Bild, Beispiel oder Motiv (z. B. das Lebensschiff (navigatio vitae)).
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Rhetorik und Literaturwissenschaft
In der klassischen Rhetorik sind Topoi als Teil der inventio allgemeine Gesichtspunkte, aus denen man Argumente schöpfen kann. (Quintilian: „sedes argumentorum, in quibus latent, ex quibus sunt petenda“). Die Herkunft einer Person oder die Zeit einer Handlung sind Topoi, wenn sie etwas Typisches über sie aussagen. Aristoteles fasst den Begriff Topos als Spektrum von Funktionen auf: sowohl heuristisch (als Suchort), argumentativ (als Anstoß zu einer Argumentation) und rhetorisch (als Teil der Rede selbst). Seine wenig systematischen Anweisungen zur Auffindung des Topos gingen in die spätantiken und mittelalterlichen lateinischen Rhetoriken (Matthaeus von Vendôme, Johannes de Garlandia) ein und erlangten eine besondere Bedeutung in der Zeit des Humanismus (Erasmus von Rotterdam, Philipp Melanchthon) sowie ihre Blüte im Barock. Lateinische wie volkssprachliche Rhetoriken (etwa Harsdörffers Poetischer Trichter) machten das Auffinden von Topoi und ihre poetische Ausführung zu ihrem genuinen Thema. Sammlungen solcher Topoi entstanden und führten zu ihrer Erstarrung zu festgefügten Klischees, zu Versatzstücken, zu konventionellen Gemeinplätzen. Beispiele sind etwa der Topos der „bösen Stiefmutter“ oder der „liebliche Ort“ (lat. locus amoenus) in der Natur, an dem die Handlung vorübergehend inne hält (vgl. Motiv (Literatur)). Diese negativ besetzte Stellung der Topoi führte zur Verachtung der Rhetorik durch die Aufklärung.
Der Teilbereich der Rhetorik und Literaturwissenschaft, der sich mit dem Topos befasst, wird Topik genannt. Zu ihren Begründern zählt Ernst Robert Curtius.
[Bearbeiten] Grammatik
Der Topos in der Grammatik ist ein konkreter Ort als Stellung eines Wortes oder Satzes.
[Bearbeiten] Geistes- und Kulturwissenschaften
In den Geistes- und Kulturwissenschaften wird der Begriff Topos sowohl für Kategorien, als auch für (Vorstellungs-)Bilder verwendet. Beispielsweise stellt die Kategorie "Definition" einen Topos dar. Wie andere griechische Begriffe (etwa Mythos) hat der Begriff Topos heute, im Gegensatz zur nüchternen antiken Bedeutung, einen melodramatischen Beigeschmack: Man spricht vom "Topos der Gottesstrafe" oder vom "Topos der Musikstadt Wien" und sieht darin eine Art wachgerufene kollektive Erinnerung.
[Bearbeiten] Philosophie
Der Begriff Topos bzw. Ort spielt in der japanischen Philosophie eine besondere Rolle. Anfang des 20. Jahrhunderts versucht sich Nishida Kitarō mit dem Begriff "basho" (für Topos, Ort) gegen den dominanten Subjekt-Objekt-Dualismus der westlichen Philosophie zu stellen und ein alternatives philosophisches Konzept als "bashoron" (Lehre des Ortes, Topologie) vorzustellen. Dieser Ansatz wurde von weiteren Philosophen nach Nishida aufgegriffen und führt zu einer topischen bzw. topologischen Wende in der Philosophie aber auch in den angrenzenden Geisteswissenschaften, wie der Soziologie oder Kulturwissenschaft. Der zu Ende des 20. Jahrhunderts aufkommende spatial turn in den westlichen Geisteswissenschaften verläuft weitgehend parallel und erhält erst später wichtige Impulse von der japanischen Philosophie.
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Literatur
- Edgar Mertner: "Topos und Commonplace." In: Peter Jehn (Hrsg.). Toposforschung (Respublica Literaria 10). [1956]. Frankfurt am Main: Athenäum 1972. S. 20–68.
- Saunders MacLane u. Ieke Moerdijk: Sheaves in Geometry and Logic: A First Introduction to Topos Theory. New York: Springer, 1992.
- J. Lenerz: Zur Abfolge nominaler Satzglieder im Deutschen. (=SdG 5), Tübingen: Narr, 1977.
[Bearbeiten] Weblinks
- http://www.geisteswissenschaften.fu-berlin.de/izma/forschung/topik/index.html: Seite der Forschergruppe Topik und Tradition
- http://www.topische-wende.de: Topische Wende in der (japanischen) Philosophie
- http://www.thelatinlibrary.com/quintilian/quintilian.institutio5.shtml M. Fabii Quintiliani Institutio Oratoria Liber quintus
- http://www.uni-potsdam.de/u/slavistik/vc/hmeyer/witz/arisrhe1.htm Meyer: Die Rhetorik des Aristoteles