Joule-Thomson-Effekt

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Der Joule-Thomson-Effekt, nicht zu verwechseln mit dem Thomson-Effekt, tritt auf, wenn ein reales Gas oder Gasgemisch durch Drosselung (=Druckänderung) eine Temperaturänderung erfährt. Diese Erscheinung spielt eine wichtige Rolle in der Thermodynamik von Gasen und ist daher vor allem für die Technik von Bedeutung. Eine wichtige großtechnische Anwendung ist die Gasverflüssigung im Linde-Verfahren.

Schematische Darstellung des Joule-Thomson Effektes
Schematische Darstellung des Joule-Thomson Effektes

Drosselt man ein Gas, etwa indem man in einer Rohrleitung eine Blende oder anderes Hindernis einbaut (siehe Grafik), expandiert es. Das heißt, das vom Gas eingenommene Volumen hinter dem Hindernis nimmt zu. Dabei erhöht sich der mittlere Teilchenabstand, wodurch die Temperatur des Gases sinkt.

Bei realen Gasen wirken zwischen den Teilchen anziehende oder abstoßende Kräfte, wobei in den meisten Fällen, wie etwa bei den Gasen der Luft unter Normaldruck, die anziehenden Kräfte überwiegen. Wenn der mittlere Teilchenabstand zunimmt, wird Arbeit gegen die Anziehungskräfte, die zwischen den Teilchen wirken, verrichtet. Die Energie dazu kommt aus der kinetischen Energie der Teilchen des Gases, die dadurch verringert wird. Die Teilchen werden im Mittel langsamer, was als Abkühlung des Gases wahrgenommen wird. Ein ideales Gas zeigt keinen Joule-Thomson-Effekt, da zwischen seinen Teilchen keine Wechselwirkungen auftreten.


Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Geschichtliches

Der Joule-Thomson-Effekt wurde nach James Prescott Joule und Sir William Thomson (dem späteren Lord Kelvin) benannt, die dieses Phänomen im Jahre 1852 beschrieben.

[Bearbeiten] Thermodynamik

[Bearbeiten] Joule-Thomson-Koeffizient

Die Stärke und Richtung der Temperaturänderung wird durch den Joule-Thomson-Koeffizient μ beschrieben:

\mu_{JT} = \left( \frac{ \partial T }{ \partial p }\right)_H

Er stellt die partielle Ableitung der Temperatur T nach dem Druck p bei konstanter Enthalpie H dar. Der Vorgang ist also isenthalp, was durch den Index H angedeutet wird.

Im Allgemeinen kühlen sich Gase bei isenthalper Ausdehnung ab (z. B. isenthalpe Drosselung). Dazu gehören etwa Kohlendioxid und Luft. Für diesen Fall ist der Joule-Thomson-Koeffizient (bei Raumtemperatur) positiv. Einige Gase wie der Wasserstoff oder Helium verhalten sich umgekehrt. Sie erwärmen sich bei isenthalper Ausdehnung. Sie besitzen einen negativen Joule-Thomson-Koeffizienten. Für ideale Gase gilt: μJT = 0, siehe Joule-Versuch.

Entscheidend für das Abkühlen eines Gases durch Expansion (Linde-Verfahren) ist daher, dass die Ausgangstemperatur unterhalb der Inversionstemperatur des jeweiligen Gases liegt. Diese liegt für Luft bei ca. +450 °C, für Wasserstoff bei −80 °C und für Helium bei −239 °C. Wird ein Gas unterhalb seiner Inversionstemperatur entspannt, so kühlt es sich ab, wird es oberhalb seiner Inversionstemperatur entspannt, so erwärmt es sich. Die Inversionstemperatur ist für ein Van-der-Waals-Gas Ti = 6,75 · Tk = 2a / Rb mit Tk=kritische Temperatur, a=Van-der-Waals-Konstante, b=Kovolumen.

[Bearbeiten] Herleitung des Joule-Thomson Koeffizienten

Thermodynamisch bleibt die Enthalpie H erhalten. Dies sieht man wie folgt: Zunächst ist das Gas in einem Volumen V1 eingeschlossen, es herrscht der Druck p1 und die Temperatur T1. Nun wird das Gas in das Volumen V2 gedrückt. Damit das Gas keine kinetische Energie aufbauen kann, geschieht die Überführung von V1 nach V2 durch eine Drossel (eine andere Funktion hat die Drossel nicht). Das Gas im Volumen V1 strömt aufgrund des Drucks p1 "von alleine" durch die Drossel. Die Energie (Volumenarbeit), die im Druck steckt, wird frei p1V1. Andererseits wird im Volumen V2 ein Druck aufgebaut. Die hierfür benötigte Arbeit p2V2 muss vom Gas aufgebracht werden. Nun wird die Energieerhaltung benutzt: Die innere Energie E des Gases ändert sich aufgrund der erbrachten Arbeit

E1 + p1V1 = E2 + p2V2.

Dies ist gerade die Enthalpieerhaltung.

\mathrm dH = T \mathrm dS + V \mathrm dp \! mit  H = U + pV \!

Totales Differential der Entropie S(T,p):

\mathrm dS=\underbrace{\frac{\partial S}{\partial T}_{p=const.}}_{=\frac{C_p}{T}} \mathrm dT + \frac{\partial S}{\partial p}_{T=const.} \mathrm dp

Maxwellrelation der freien Enthalpie G:

\frac{\partial S}{\partial p}_{T=const.} = -\frac{\partial V}{\partial T}_{p=const.}

Thermischer Ausdehnungskoeffizient:

\alpha = \frac{1}{V}\frac{\partial V}{\partial T}_{p=const.}
\Rightarrow \quad \mu_{Joule-Thomson}=\frac{\partial T}{\partial p}_{H=const.} = \frac{V}{C_p}(T\alpha-1)

Für ein ideales Gas ist \alpha = \frac{1}{T} und somit ist der Joule-Thomson Effekt nicht vorhanden -- Für ein ideales Gas hängt die innere Energie nicht vom Volumen ab. Dies sollte nicht verwundern, da es faktisch keine Wechselwirkung zwischen Punktteilchen gibt (siehe Definition vom idealen Gas). Bei realen Gasen ist der Effekt hingegen gegeben.

Hierbei stehen die einzelnen Formelzeichen für folgende Größen:

[Bearbeiten] Joule-Thomson-Inversionskurve

Die Kurve im Druck-Temperatur-Diagramm für die

\mu_{JT} = \left( \frac{ \partial T }{ \partial p }\right)_H = 0

gilt wird als Joule-Thomson-Inversionskurve bezeichnet. Im von der Kurve eingeschlossenen Bereich gilt μJT > 0, außerhalb gilt μJT < 0.

[Bearbeiten] Joule-Thomson-Inversionskurve für ein Van-der-Waals-Gas

Joule-Thomson-Inversionskurve für ein reales Gas in einem P-T-Diagramm
Joule-Thomson-Inversionskurve für ein reales Gas in einem P-T-Diagramm
\mu_{JT} = \frac{V}{C_p}\cdot(T\alpha-1) = 0

Nach Einsetzen des Wärmeausdehnungskoeffizienten (α) erhält man folgende Gleichung:

\frac{2a}{k_BT}\cdot\left(\frac{V-Nb}{V}\right)^2-b=0

Durch Auflösen dieser Gleichung nach V und Einsetzen in die Van-der-Waals-Gleichung ergibt sich die Joule-Thomson-Inversions-Gleichung p(T):

 p(T)=\frac{2}{b}\cdot \sqrt{\frac{2ak_BT}{b}} - \frac{3k_BT}{2b} - \frac{a}{b^2}

Für diese Gleichung ergeben sich folgende Nullstellen:

 T_1=\frac{2}{9} \cdot \frac{a}{k_Bb},\,\,\,\, T_2=2\cdot \frac{a}{k_Bb}

und folgende Extrema:

T_{p_{max}}=\frac{8}{9}\cdot\frac{a}{k_Bb}, \,\,\,\, p_{max}=\frac{1}{3}\cdot \frac{a}{b^2}

[Bearbeiten] Technische Aspekte

Das Linde-Verfahren zur Gasverflüssigung setzt einen positiven Joule-Thomson-Koeffizienten voraus. Nur so kann die Energie des komprimierten Gases abgeführt werden, obwohl die Umgebungstemperatur höher ist als die des Gases. In der Linde-Maschine wird Luft durch ein Drosselventil von etwa 200 bar auf etwa 20 bar entspannt. Dabei kühlt sie sich um etwa 45 Kelvin ab. Die abgekühlte Luft wird nun genutzt, um weitere komprimierte Luft vor der Entspannung abzukühlen (Gegenstrom-Wärmeübertrager). Über mehrere Kompressions- und Entspannungsstufen kann somit das Gas so weit abgekühlt werden, dass es kondensiert und somit flüssig wird.

Da der Joule-Thomson-Koeffizient von der Temperatur abhängt, kann es je nach verwendetem Gas sein, dass selbiges vorgekühlt werden muss, da es sich sonst noch weiter erwärmt, anstatt sich weiter abzukühlen. Beispielsweise muss Helium erst mit anderen Methoden auf ungefähr -228 °C (45 K) abgekühlt werden.

Ein positiver Joule-Thomson-Koeffizient ist neben der Reibung mitverantwortlich dafür, dass Kompressionsanlagen gekühlt werden müssen, beziehungsweise dass komprimierte Gase bei einer höheren Umgebungstemperatur Wärme abgeben können. Dies wird bei der Brüdenkompression eingesetzt.

[Bearbeiten] Anwendungen

  • Gasverflüssigung (Linde-Verfahren)
  • Eine Folge des Effekts kann die Abkühlung von Erdgas in Pipelines sein. Durch den hohen Massenstrom unter Druckabfall kann es unter ungünstigen Bedingungen zu (unerwünschten) Vereisungen der Pipelines kommen. Um dem vorzubeugen, kann es erforderlich sein, bei der Zuführung zur technischen Nutzung das Gas vorzuwärmen. Beispielsweise wird Erdgas bei 200 – 250 bar in Salz- oder Gesteinskavernen sowie Aquifer-Speichern gelagert. Wird das Gas nun in Pipelines, welche es zum Verbraucher transportieren, eingeleitet, kühlt sich das Gas stark ab, da in den (Nahtransport-)Pipelines gewöhnlich ein Druck von 100 bar herrscht. Damit kein Kondensat ausfällt und es zu keiner Vereisung im Boden oder in nachgelagerten Anlagenteilen kommt, wird das gespeicherte Gas, bevor es entspannt wird, vorerhitzt. Die Vorerhitzung muss so hoch sein, dass nach der Entspannung nicht der Wasserdampftaupunkt bzw. Gastaupunkt unterschritten wird.

[Bearbeiten] Literatur