Joseph Beuys/Rezeption

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Joseph Beuys (1921-1986), zu Lebzeiten oft heftig umstritten, zählt heute zu den wichtigsten Künstlern der deutschen Nachkriegszeit und hatte sowohl als Lehrer und Professor der Düsseldorfer Kunstakademie großen Einfluss auf seine Schüler und Kollegen (u. a. Jörg Immendorff, Sigmar Polke oder Imi Knoebel); seine Arbeiten und Theorien inspirierten nachfolgende Künstlergenerationen. Sein politisches Handeln führte zu seiner Verfechtung einer plastischen Theorie, die sich auf die Existenzfragen des Menschen richtete und zu seiner Idee der Sozialen Plastik führte.

Inhaltsverzeichnis

Positionen

Die Arbeiten von Joseph Beuys waren noch zu seinen Lebzeiten wandelnden Zuordnungen und Wertungen unterworfen. So wurde Beuys in den 60er Jahren als Zeichner gelobt, als man ihn noch als Vertreter der Fluxusbewegung ablehnte. Später, als er sich politisch betätigte, wurde er indes als einer der führenden Vertreter der Fluxusbewegung festgeschrieben.[1]

Die Rezeption des Beuysschen Werks basiert heute im wesentlichen auf Interpretationen, zeitgenössischen Zitaten und Schriftstücken von und über Joseph Beuys sowie auf Bild- und Filmmaterialien, die seine Aktionen dokumentieren. Die jüngere Kunstgeschichtsschreibung hat bislang im wesentlichen zwei Ansätze vorgelegt: die Einteilung des Gesamtwerks nach seinen inhaltlichen und formalen Schwerpunkten[2] und die Sichtung der Arbeiten eines Weltbildentwurfs im Zusammenhang der klassischen Moderne.[3]

Einteilung des Gesamtwerks

Bei der Aufteilung des Werks werden die Akzente gesetzt bei den frühen, von der Zeichnung geprägten Arbeiten der 1950er Jahre, den Aktionen der 1960er Jahre, den öffentlichen Reden in den 70ern und den seit Mitte der 1970er Jahre entwickelten großen Rauminstallationen, denen in den 1980er Jahren die umweltbezogenen Projekte folgten.[4]

Lebenslauf-Werklauf

Ab 1961 begann Beuys mit seinem „Lebenslauf-Werklauf“, in der er unter anderem Erfahrungen und Erinnerungen der Kindheit, Jugend und Soldatenzeit einfließen ließ, in literarisch-künstlerischer Form eine Art „Dichtung und Wahrheit“ seiner Künstlervita zu entwerfen. [5] Diese Eigendarstellung war auch als Kontrastprogramm zu den von Galerien und Museen erwarteten Lebensläufen der Künstler konzipiert. Beuys machte so aus seiner Biografie selbst ein Kunstwerk und „zeichnete“ eine Parallele zwischen seinem Leben und seiner Kunst. [6]

Zeichnungen

In den frühen fünfziger Jahren entstanden zahlreiche Zeichnungen, die sich mit Objekten oder plastischen Werken in Verbindung bringen lassen. In den so genannten Partituren der sechziger Jahre klingt einerseits der musikalische und rhythmische Aspekt dieser Zeichnungen durch, andererseits geben sie Hinweis auf die Requisiten, die er in seinen Aktionen benutze. Die Diagramme der 70er Jahre dokumentieren eine immer intensivere Auseinandersetzung für die Idee einer Sozialen Skulptur und haben mitunter „den Charakter von Protokollen seiner pädagogischen Bemühungen.“ [7] In ihnen werden strukturelle Bezüge hergestellt, die aufzeigen, dass das Werk von Beuys nicht nur den Dialog mit den Zeichen und der Bildkultur sucht, sondern auch eine Auseinandersetzung mit der Philosophie, der Literatur, der Natur- und den Sozialwissenschaften. Es „motivierten ihn sowohl die Erscheinungen der Natur als auch innere Bilder und Ideen zum Zeichnen: Gedankengut des deutschen Idealismus, der Frühromantik, der Aufklärung, der Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts.“ [8]

Aktionen

Von seinen rund dreißig großen Aktionen in den zwanzig Jahren seit 1963 führte Joseph Beuys die meisten in den 1960er Jahren durch. Einen selbst ausgedachten und mit der eigenen Person und ihrem Körper durchgeführten Ablauf einem Publikum zu präsentieren, war durch die Futuristen, die Dadaisten und die Happenings bereits vorweggenommen worden. Die Beuysschen Aktionen gelten als Kern seines Werks, da er sie mit einer plastischen Theorie überzogen habe, indem er der Wärme und der Kälte, die er als polare Grundprinzipien erkannte, Materialien, wie zum Beispiel Fett oder Filz, zuordnete. Der Einsatz der eigenen Person zeige neben klanglichen und akustischen Signalen die Intention, einen herkömmlichen Kunstbegriff zu einer erweiterten Kunst zu öffnen, welche die Einheit der Gattungen spiegele. Der besondere Aspekt der Bewegung verdeutliche einen „nomadischen Habitus“ (Beuys) und damit ein Lebens- und Werkprinzip des Künstlers.[9]

Reden

Die documenta 5 von 1972 wird als Zäsur in Beuys' Werk angesehen; während der 100 Tage der Ausstellung hatte er sich der Diskussion mit dem Publikum zur Verfügung gestellt. Im Folgenden entwickelte er einen erweiterten Kunstbegriff, mit dem er seine Vorstellung einer „umfassenden schöpferischen Umgestaltung des Lebens[10] umriss und in dem Begriff der Sozialen Skulptur zu erfassen suchte. Der Kern dieser Idee bestand in der Vorstellung, dass der Mensch zu ändern sei mit den Mitteln der Kunst, womit er eine Gegenposition zu den in den 1960er Jahren entworfenen Mitteln des Klassenkampfes bezog.

In den 1970er Jahren verstärkte er durch Diskussionen und Fernsehauftritte die Verbreitung dieser Idee. Im Unterschied zu den Äußerungen anderer Künstler sei es ihm dabei nicht darum gegangen, Interpretationshilfen für seine Werke und deren Rezeption zu schaffen, sondern sich mit den großen Menschheitsfragen auseinanderzusetzen, in deren Rahmen er seine Werke positioniert gesehen habe.[11]

Seine oft diskutierte und häufig falsch interpretierte Aussage „Jeder Mensch ein Künstler“ wird von Beuys noch einmal ausführlich in seiner berühmten Rede am 20. November 1985 in den Münchner Kammerspielen thematisiert. Die Rede wurde auf Tonband aufgezeichnet und gibt einen unmittelbaren Eindruck von Beuys als Redner wieder.[12]

Rauminstallationen

Mit der „Straßenbahnhaltestelle“ für die Biennale in Venedig 1976 wird der Beginn einer Werkphase von großen Installationen und raumbezogenen Arbeiten angesetzt, in denen der Künstler sowohl eigene Lebenserinnerungen als auch im Folgenden darüber hinaus eigene Werkzusammenhänge herstellte. So nahm er in seiner letzten Arbeit, „Palazzo Regale“ (1985) rückblickend auf sein Werk Stellung, indem er seine „eigene ästhetische und soziale Tätigkeit“ als „Selbstbestimmung“ des Menschen thematisierte.[13]

Die monumentalen Rauminstallationen, die stets für einen bestimmten Zusammenhang von Inhalt und Ort geschaffen waren, verdeutlichten zudem, in welcher Weise Beuys seine Arbeiten als eine Einheit sah von Formen, Materialien und praktischem wie theoretischem Handeln. Den von ihm so genannte Parallelprozess, mit dem er das Nebeneinander von künstlerischer Arbeit an Gegenbildern und für ihn grundlegender Begrifflichkeit benannt hatte, hob er zuletzt auf in öffentlichen Projekten, wie zum Beispiel den „7000 Eichen“ für die Stadt Kassel, die er 1982 zur documenta 7 begann. Die Einschätzung, dass Beuys diese Einheit auch gelebt habe, führte zu seiner Kennzeichnung als „letzte[r] Visionär in der Kunst des 20. Jahrhunderts“. [14]

Weltbildentwurf

Für Beuys’ Werk und für sein Denken wird ein „Geflecht von Ganzheitsvorstellungen“ konstatiert, deren „unsystematische Offenheit“ dem herkömmlichen Ganzheitsbegriff aus „Stimmigkeit und Kohärenz“ entgegenstehe; der Entwurf einer Einheit aus Werk und Leben wurde von einem konventionellen Kunstbegriff nicht mehr gedeckt.[15]

Weltbegriff

Der hermeneutischen Erfassung der Welt setzte Beuys einen totemistischen entgegen, indem er die Dingwelt ihrer Funktionalität entrückte und der „materiellen Wirklichkeit“ eine „magische Belebung“ zukommen ließ; gegen die Einschätzung als Heilsbringer oder Schamane wehrte er sich nicht.[16]

Als Ansatz wird unter anderem auf die Unbestimmtheitsformel des Physikers Werner Heisenbergs verwiesen, die sich in der Kunst des 20. Jahrhunderts zum Beispiel in der Abstraktion spiegelte. Als Bildhauer experimentierte Joseph Beuys mit der „Verformbarkeit“ der Materialien, ihren Elementen, ihren Aggregatzuständen und Polarisierungen; Fett (wahlweise auch Margarine) war zum Beispiel für ihn ein Material, das sowohl flüssig wie fest zu bearbeiten war.[17]

Dingbegriff

Die Poetisierung der Objekte des Alltags, der Erinnerung und des Abfalls wurde in der Kunst des 20. Jahrhunderts bereits von den Dadaisten angestrebt, unter anderem in den „Verfremdungsstrategien“ eines Marcel Duchamp. Über derartige Strategien hinaus wird der „Multimaterialität“ der Beuys'schen Aktionen und Objektensembles eine „prekäre Aura“ zugesprochen, deren Verrätselung den universellen Anspruch einer magischen oder auch religiösen Sphäre zeige.[18]

Interpretationsansätze

Die Offenheit des Beuys'schen Werkes und des sich darin manifestierenden erweiterten Kunstbegriffs wird als Impuls gedeutet, ihnen Grundvorstellungen von zum Beispiel Aufbau und Vernichtung oder Leben und Tod zuzusprechen. Die Möglichkeiten, den Kunstbegriff insbesondere in der sozialen Skulptur auf alle Lebensbereiche auszuweiten, führte unter anderem zu einer nachfolgenden Adaption in der Anthroposophie, zumal sich Beuys selbst wiederholt auf seine Lektüre Rudolf Steiners berufen hatte. Dieser Ansatz wird in einigen Biographien über den Künstler deutlich.[19]

Literatur

  • Werner Hofmann: Die Moderne im Rückspiegel. Hauptwege der Kunstgeschichte. C. H. Beck: München 1998; S. 251–367 („Das 20. Jahrhundert - Triumph der Mehransichtigkeit“)
  • Lothar Romain/ Rolf Wedewer: ÜBER BEUYS. Droste: Düsseldorf, 1972
  • Uwe M. Schneede: Die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert. C. H. Beck: München, 2001; S. 236–245
  • Susanne Willisch/ Bruno Heimberg (Hrsg.): Joseph Beuys Das Ende des 20. Jahrhunderts, Die Umsetzung vom Haus der Kunst in der Pinakothek der Moderne München. Doerner Institut; Bayerische Staatsgemäldesammlungen. Schirmer/Mosel: München 2007

Filmografie / Medien

Hauptartikel: Joseph Beuys Medien-Archiv

Einzelnachweise

  1. Lothar Romain/ Rolf Wedewer: ÜBER BEUYS, Düsseldorf, 1972 (Droste Verlag); (Buchdeckelrückseite)
  2. Uwe M. Schneede : Die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert. C. H. Beck: München, 2001, S. 236–245
  3. Werner Hofmann: Die Moderne im Rückspiegel. Hauptwege der Kunstgeschichte. C. H. Beck: München 1998; S. 251–367 („Das 20. Jahrhundert - Triumph der Mehransichtigkeit“)
  4. Schneede (2001) S. 237
  5. Susanne Willisch/ Bruno Heimberg (Hrsg.): Joseph Beuys Das Ende des 20. Jahrhunderts, Die Umsetzung vom Haus der Kunst in der Pinakothek der Moderne München, München 2007 (Doerner Institut; Bayerische Staatsgemäldesammlungen; Schirmer/Mosel), S. 368
  6. Götz Adriani/ Winfried Konnertz/ Karin Thomas: Joseph Beuys, Köln 1994 (DuMont), S. 6 und Joseph Beuys- Lebenslauf/Werklauf 1964 [1]
  7. Joseph Beuys. Zeichnungen, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Karlsruhe 2006, S. 14
  8. Joseph Beuys. Zeichnungen (2006) S. 15
  9. Schneede (2001) S. 238ff.
  10. Schneede (2001) S. 242
  11. Schneede (2001) S. 242f.
  12. http://www.pinakothek.de/neue-pinakothek/kalender/kalender_index.php?haupt=ausstellungen&inc=ausstellung&action=archiv&which=2100 Pinakothek der Moderne] – „Der Tod hält mich wach“, Ausstellung zum 20. Todestag von Joseph Beuys, 2006
  13. Schneede (2001) S. 245
  14. Schneede (2001) S. 245
  15. Hofmann (1998) S. 368
  16. Hofmann (1998) S. 367
  17. Hofmann (1998) S. 371
  18. Hofmann (1998) S. 369; S. 371f.
  19. Vgl. zum Beispiel: Heiner Stachelhaus: Joseph Beuys und Götz Adriani/ Winfried Konnertz/ Karin Thomas: Joseph Beuys