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Wilhelm Boger – Wikipedia

Wilhelm Boger

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Wilhelm Friedrich Boger (* 19. Dezember 1906 Zuffenhausen; † 3. April 1977 Bietigheim-Bissingen), SS-Oberscharführer sowie Leiter der politischen Abteilung „Referat Flucht, Diebstahl und Fahndung“ im Lager Auschwitz. Er galt unter den Häftlingen als einer der schlimmsten Folterer sowie Erfinder der sogenannten Boger-Schaukel, ein von ihm erfundenes Folterinstrument, das er selbst „Sprechmaschine“ nannte. Im Frankfurter Auschwitzprozess wurde er 1965 zu lebenslänglich sowie 15 Jahre Zuchthaus verurteilt.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Leben

Wilhelm Boger stammte aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Er besuchte neun Jahre lang die im Süden Stuttgarts gelegene Bürgerschule II (heute Heusteigschule). 1922 schloss er mit der Mittleren Reife ab. Seine Berufsausbildung absolvierte er bei Rheinstahl. Bereits mit 16 Jahren war er Mitglied in der NS-Jugend, der Vorläuferorganisation der Hitlerjugend.[1]

1929 kehrte er nach Stuttgart zurück, es erfolgte der Beitritt zu NSDAP und SA. Bereits im darauf folgenden Jahr wechselte er zur SS, Mitgliedsnummer 2779. Nach mehrmals wechselnden Arbeitsverhältnissen wurde er arbeitslos. Ab 1933 wohnte er in Friedrichshafen, wo er eine Polizeilaufbahn anstrebte. Er wurde Kriminalkommissar, 1939 übernahm er das Grenzpolizeikommissariat Ostrolenka. Dort erhielt er den Spitznamen „Der Henker von Ostrolenka“.

Boger war seit etwa 1929 verheiratet; er hatte aus dieser Ehe drei Kinder, wovon zwei früh starben. Er pflegte jedoch auch außereheliche Beziehungen. 1940 erfolgte eine Suspendierung vom Polizeidienst wegen Beihilfe und Nötigung zur Abtreibung. Seine Ehe wurde geschieden. Kurz darauf heiratete er erneut, eine Frau, mit der er bereits eine uneheliche Tochter hatte. In dieser Ehe folgten zwei weitere Töchter. Die Verurteilung wegen der Abtreibung hatte eine Strafversetzung zur Bewährung in ein SS-Polizeibataillon zur Folge. An der Front bei Leningrad wurde Boger verwundet und 1942 – nach Ablauf der Bewährung – im Dienstgrad eines SS-Oberscharführers nach Auschwitz versetzt. Sein Aufgabenbereich war die politische Abteilung „Referat Flucht, Diebstahl und Fahndung“. Auch seine Familie lebte im Lagerbereich.

Hier entwickelte sich Boger zu einem der schlimmsten Sadisten des Lagers. Er ließ wahllos Menschen erschießen und entwickelte brutale Verhörmethoden, unter anderem die „Boger-Schaukel“, bestehend aus zwei senkrechten Pfosten, in welche die Häftlinge mit den Kniekehlen kopfüber an einer Stange aufgehängt wurden, wobei die Handgelenke an die Fußgelenke oder die Stange gefesselt wurden (siehe dazu auch Papageienschaukel). In dieser wehrlosen Lage wurden sie von Boger und seinen Komplizen verhört und mit Stöcken und Peitschen misshandelt, manche von ihnen bis zum Tod. Ehemalige Lagerinsassen beschrieben die Folteropfer später im Auschwitz-Prozess mit den Worten: „Er hat nicht mehr wie ein Mensch ausgesehen.“

Kurz vor der Befreiung des Konzentrationslagers durch die Alliierten im Januar 1945 beteiligte sich Boger noch am Transport von geheimen Akten nach Buchenwald. Danach tauchte er ab und versteckte sich, bis er im Juni 1945 in Ludwigsburg, wo seine Eltern lebten, von den Amerikanern entdeckt und verhaftet wurde. Der verfügten Auslieferung nach Polen entzog er sich durch Flucht. Bis 1949 arbeitete er unentdeckt als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter bei Crailsheim. Eine kurz darauf folgende Verhaftung in Ravensburg erfolgte aufgrund einer bereits 1936 von ihm begangenen Körperverletzung im Amt; er befand sich schon kurz darauf wieder auf freiem Fuß, da das Verfahren eingestellt wurde, und lebte für die nächsten Jahre gemeinsam mit seiner Familie unter seinem richtigen Namen in Hemmingen bei Leonberg.

Auch ein Entnazifizierungsverfahren überstand er schadlos. Die Spruchkammer in Stuttgart konstatierte „… Er macht auch nicht den Eindruck eines rohen, brutalen Menschen, vielmehr den eines vernünftigen, gut geschulten Kriminalbeamten“, und stellte das Verfahren zu Lasten der Regierungskasse ein. Boger fand im September 1950 Arbeit als Lagerverwalter bei dem Motoren- und Motorrollerhersteller Heinkel in seinem Geburtsort Zuffenhausen. Er führte ein kleinbürgerliches, eher zurückgezogenes Leben und stieg in der Firma bis zum kaufmännischen Angestellten auf. Falls die Rede auf seine Aktivitäten im Lager Auschwitz kam, antwortete er gegenüber Bekannten und Nachbarn, er habe sich nichts vorzuwerfen.[2]

[Bearbeiten] Auschwitzprozess

Am 1. März 1958 erhielt die Staatsanwaltschaft Stuttgart ein Schreiben des ehemaligen Auschwitz-Häftlings Adolf Rögner, der unter anderem wegen Meineid unter Anklage stand und in Bruchsal inhaftiert war. In diesem Schreiben belastete Rögner Wilhelm Boger und andere ehemalige Angehörige der Auschwitz-SS-Mannschaften. Wegen seines kriminellen Hintergrunds wurde Rögner erst am 6. Mai 1958 persönlich vernommen, und die Stuttgarter Staatsanwaltschaft behandelte darum die Anzeige zuerst mit Vorsicht. Rögner belastete auch die später mit Boger gemeinsam angeklagten Hans Stark, Pery Broad und Klaus Dylewski.

Erst nachdem das Internationale Auschwitz Komitee unter seinem Präsidenten Hermann Langbein im Mai 1958 Druck auf die Staatsanwalt ausgeübt und weitere Zeugen gestellt hatte, kam es zum Haftbefehl gegen Boger und weitere Täter. Am 8. Oktober 1958 wurde Boger an seinem Arbeitsplatz verhaftet und im Stuttgarter Polizeipräsidium vernommen. Die weiteren Beschuldigten wurden erst im April 1959 festgenommen.

In den darauf folgenden Ermittlungen, die sich bis zum April 1963 hinzogen, übernahm der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, selbst ein Verfolgter des NS-Regimes, die Leitung. Die Staatsanwaltschaft legte eine 700 Blätter umfassende Beweissammlung vor – es waren 252 Zeugen vernommen worden − dazu legten die Ermittler 17 Bände mit weiteren Dokumenten, Lagerplänen und Fotos vor. Gegen 24 Beschuldigte wurde Mordanklage erhoben, Wilhelm Boger wurde die Beteiligung an Selektionen, Bunkerentleerungen, Erschießungen sowie Tötung von Häftlingen bei Vernehmungen zur Last gelegt.

Gegen 22 Beschuldigte wurde am 20. Dezember 1963 unter Vorsitz des Landgerichtsdirektors Hans Hofmeyer im Frankfurter Römer das Verfahren eröffnet. Die Angeklagten leugneten durchweg jede Beteiligung an Verbrechen in Auschwitz. Boger selbst beleidigte und verhöhnte Zuschauer und verwendete im Gerichtssaal den Hitlergruß. Boger sagte aus, dass es für ihn während der „nationalsozialistischen Herrschaft“ nur den „Gesichtspunkt gab, die gegebenen Befehle des Vorgesetzten ohne Einschränkung auszuführen“.[3] Erst am 145. Verhandlungstag ließ er sich zum einzigen Eingeständnis seiner Schuld ein: „… und nach etwa zwei oder drei Erschießungen sagte Grabner: ‚Kwadernak, geben Sie Ihr Gewehr ab, es schießt weiter Oberscharführer Boger.‘ Daraufhin habe ich zwei Häftlinge erschossen. Alsdann hat Grabner wieder eine Ablösung befohlen … Das war der einzige Fall, wo ich herangezogen wurde, wo ich befehlsgemäß von Grabner, Exekutionen durchgeführt habe.“[4]

Die ehemalige Lagerinsassin Dounia Zlata Wasserstrom sagte dagegen am 23. April 1964 als Zeugin aus: „Ein kleiner Junge im Alter von etwa vier bis fünf Jahren sprang vom Lkw herunter. Er hatte einen Apfel in der Hand. Woher die Kinder kamen, weiß ich nicht. In der Tür stand Boger. Das Kind stand neben dem Lkw mit dem Apfel. Boger ging zu dem Kind hin, packte es an den Füßen und warf es mit dem Kopf an die Wand. Den Apfel steckte er ein … Eine Stunde später kam Boger und rief mich zum Dolmetschen. Dabei aß er den Apfel. Das Ganze habe ich mit eigenen Augen gesehen. Das Kind war tot.“[5][6]

Am 19. August 1965 begann, nach 183 Verhandlungstagen, die Urteilsverkündung in der „Strafsache gegen Mulka und andere“. Sie dauerte zwei Tage. Wilhelm Boger wurde wegen Mordes zu lebenslänglich und 15 Jahre Zuchthaus verurteilt. Er hat sich zu keinem einzigen Anklagepunkt schuldig bekannt und starb 1977 in Haft. Ein von seiner Frau gestelltes Gnadengesuch wurde nicht mehr bearbeitet.

[Bearbeiten] Einzelnachweise

  1. http://www.zeichen-der-erinnerung.org/n5_2_boger_friedrich.htm Wilhelm Friedrich Boger „Die Bestie von Auschwitz“
  2. Reihe Denkblatt, Herausgegeben von Michael Kienzle und Dirk Mende, Stuttgart 12/2006
  3. http://www.fritz-bauer-institut.de/texte/essay/08-00_renz.htm Werner Renz: Völkermord als Strafsache
  4. http://www.mdr.de/kultur/literatur/1793481.html MDR: „Weinen Sie nicht, die gehen nur baden“
  5. Reihe Denkblatt, Herausgegeben von Michael Kienzle und Dirk Mende, Stuttgart 12/2006
  6. http://www.zeichen-der-erinnerung.org/n5_2_boger_friedrich.htm Wilhelm Friedrich Boger „Die Bestie von Auschwitz“

[Bearbeiten] Weblinks

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