Vorbeiflug
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Als Vorbeiflug wird in der Raumfahrt die langgestreckte Bahn einer Raumsonde zu einem zu untersuchenden Himmelskörper bezeichnet, ohne dass in dessen Nähe ein Bahnmanöver – etwa zum Zweck einer Umkreisung – vorgenommen wird.
Bei sehr exakter Steuerung der Sonde kann jedoch das Schwerefeld dieses Himmelskörpers dazu benutzt werden, um die weitere Bahn der Sonde – insbesondere ihre Krümmung und Richtung – in gewünschter Weise zu ändern und zu einem weiteren Himmelskörper umzulenken. Diese seit etwa 1980 beherrschte Technik wird Swing-by, Gravity assist oder Gravitationsmanöver genannt.
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[Bearbeiten] Erste Vorbeiflüge am Mond (1959-1965)
In den ersten Jahren der Raumfahrt waren Vorbeiflüge am Mond oder an den Nachbarplaneten die einzige Möglichkeit zur Fernerkundung anderer Himmelskörper. Die Brennschlussgeschwindigkeit der frühen Trägerraketen konnte aber noch nicht so exakt eingehalten werden, wie für nahe Vorbeiflüge erforderlich gewesen wäre. Die erreichte Minimaldistanz war daher ein Maß für die Genauigkeit und Verlässlichkeit, mit der die Steuerung des Raumflugs erfolgte. Erst mit zunehmender Genauigkeit des Starts (etwa ab 1 Promille der Endgeschwindigkeit) gelangte auch das direkte Anzielen des Mondes – also eine harte Landung – in den Bereich der Möglichkeiten.
Die ersten gelungenen Vorbeiflüge am Erdmond waren jene der sowjetischen Mondsonde Lunik 1 (2. Januar 1959) in 6.000 km Monddistanz und des US-amerikanischen Pioneer 4 (4. März 1959) in 60.000 km Entfernung. Ihnen gingen allerdings insgesamt sieben Fehlstarts zwischen August und Dezember 1958 voraus. Beide Sonden führten Strahlungs- und Teilchenmessungen zwischen Erde und Mond durch und wurden nach der Mondpassage künstliche Planeten der Sonne. Lunik 1 konnte die vorausgesagte Existenz des Sonnenwindes nachweisen.
Bei der sechsten sowjetischen Mondsonde Lunik 2 (12/13. September1959) gelang erstmals ein harter Aufschlag auf dem Mond. Lunik 3 (4/10. Oktober 1959) konnte nach dem Vorbeiflug die ersten Funkfotos der Mondrückseite übermitteln und entdeckte das einzige Mondmeer dieser Hemisphäre, das Mare Moskwa. Nach weiteren je vier Fehlschlägen der UdSSR bzw. der USA folgte der Vorbeiflug von Ranger 2 im November 1961, die "stummen" harten Landungen von Ranger 4 und 6 (1962/64) sowie der Vorbeiflug von Luna 4 (1963). Zur Gänze erfolgreich waren erst die Nahaufnahmen der Mondoberfläche durch Ranger 7, 8 und 9 (1964/65) und durch Zond 3 (1965).
Die ersten sanften Landungen gelangen schließlich 1966 durch Luna 9 (UdSSR) und die 3 Surveyor-Sonden der USA.
[Bearbeiten] Erste Vorbeiflüge an Planeten
Vorbeiflüge an den beiden Nachbarplaneten der Erde, der Venus und dem Mars, erfordern nochmals eine um ein bis zwei Zehnerpotenzen höhere Genauigkeit, die sich nur durch nachträgliche Bahnmanöver erreichen lässt. Daher gelangen sie erst nach weiteren zwei bzw. drei Jahren der technischen Entwicklung und einigen Fehlschlägen:
[Bearbeiten] Venus
- Venera 1 am 20. Mai 1961 in 100.000 km Distanz – nach dreimonatigem Flug, allerdings versagte der Funkkontakt schon wenige Tage nach dem Start.
- Mariner 2 am 14.Dezember 1962 in 34.000 km Entfernung – nach 3,5 Monaten Flug. Erste Messdaten von der Venus, welche die Hypothese vom warm-feuchten Klima entkräftete.
- Auch Venera 2 und 3 verloren den Funkkontakt mit der Erde, doch bei Venera 4 (1967) und ab 1969 gelang es sogar, Atmosphären- bzw. Landesonden auf der Venus abzusetzen. Der hohe Gasdruck zerstörte sie jedoch nach 50 bis 90 Minuten.
[Bearbeiten] Mars
- Nach drei Fehlstarts Mars 1 (1963), allerdings fiel einige Monate zuvor der Funkkontakt aus
- Mariner 4 (Start 28. November 1964), Marspassage am 15. Juli 1965 in 9.846 km Entfernung. Die Sonde lieferte erstmals 22 Nahaufnahmen des Roten Planeten, auf denen überraschenderweise zahlreiche Marskrater zu erkennen waren – und niederes Leben praktisch auszuschließen war.
siehe auch: Chronologie der Mars-Missionen
[Bearbeiten] Venus und Merkur
- Mariner 10, gestartet 4. November 1973, der Vorbeiflug an der Venus war am 5. Februar 1974 in 5.800 km (4200 Nahaufnahmen) bereits so genau gesteuert, dass die geplante Umlenkung der Flugbahn zum Merkur exakt gelang. Um zum sonnennächsten Planeten zu gelangen, mussten mit diesem Swing-by-Manöver etwa 60 Prozent der Bahnenergie von der Erdbahn abgebaut werden. Dadurchkonnte anstelle der Titan IIIC die preiswertere Atlas-Centaur verwendet werden.
siehe auch: Chronologie der Venus-Missionen
Der erste Vorbeiflug am Merkur (19. März 1974) erfolgte in 705 km Entfernung und wurde zur Fernerkundung dieses heißen, kraterbedeckten Planeten genützt (2500 aufgenommene Bilder). Merkur lenkte den Flugkörper dann in eine 176-tägige Sonnenumlaufbahn, was genau dessen doppelter Umlaufzeit entsprach. So gelang am 21. September 1974 eine zweite Begegnung (wie geplant in 50.000 km Distanz und weiteren Aufnahmen) und am 16. März 1975 eine dritte in 375 km, bei der das Magnetfeld untersucht wurde. Danach war der Treibstoff erschöpft und die Sonde wurde abgeschaltet.
[Bearbeiten] Jupiter, äußerste Planeten und Kometen
- Mit Voyager 1 und Voyager 2 (1977-1979) gelangen erstmals Vorbeiflüge an Jupiter und den Jupitermonden – und nach erfolgreichen Swing-by-Manövern die erforderliche Beschleunigung, um zu den weiteren Gasplaneten zu gelangen (Saturn, Uranus und Neptun)
- Diese Technik wurde in den 1980er und 1990er Jahren auch für Flüge zu zwei Kometen und einigen Kleinplaneten benützt.
- 2008 US-Sonde MESSENGER zum Merkur (Start 2004, 2006/07 Vorbeiflug an Venus) … „New Horizons“ zum Pluto.