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Franziska Gerstenberg – Wikipedia

Franziska Gerstenberg

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Franziska Gerstenberg (* 1979 in Dresden) ist eine deutsche Autorin. Sie lebt in Hannover.

Gerstenberg studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und war zwei Jahre Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift EDIT. Sie erhielt u. a. das Aufenthaltstipendium in der Villa Concordia im Bamberg (2005) und das Heinrich-Heine-Stipendium 2007.

Im März 2004 erschien ihr erstes Buch, der Erzählband Wie viel Vögel, mit dem die damals 25-jährige Autorin ein beachtliches Medienecho errang. Ihrem Debüt gingen kleinere Veröffentlichungen in diversen Zeitschriften und in einigen Anthologien voraus.

2004 erhielt sie für ihr Debüt den Förderpreis zum Nicolas Born-Preis des Landes Niedersachsen.

Ihr zweites Buch erschien im Frühjahr 2007 unter dem Titel Solche Geschenke und enthält 14 Erzählungen. Es wurde 2007 mit dem Förderpreis zum Hermann-Hesse-Preis ausgezeichnet.

In ihrem Debüt Wie viel Vögel, das 15 Erzählungen umfasst, gerät Gerstenberg nicht wie neuerdings viele „Ost-Schriftsteller“ in die Gefahr der „Ostalgie“ - wohl auch weil sie das Ende der DDR noch als Kind erlebte. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung meint, mit zehn sei man „zu jung, um zu verstehen, was vor sich ging - aber alt genug, um es zu erahnen“. Daher müsse Gerstenberg den erlebten Ost-West-Unterschied nicht „als ewige Bürde in die Zukunft schleppen“.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Wie viel Vögel

Der Erzählband bringt Momentaufnahmen aus dem Deutschland der Gegenwart, in dem diese Grenzen bereits in Vielem verwischt sind. Er fängt das Lebensgefühl von „Zonenkindern“ und Jugendlichen ein, die mit sich wenig anzufangen wissen - oder „in der neuen Freiheit auf alte Grenzen stoßen“, wie die TZ schreibt. Ihre Figuren wollen sich alle Möglichkeiten offen halten und verbauen sie sich vor lauter Bindungsangst. Absurde oder halb heitere Situationen entstehen, weil Manche schon fast unentrinnbar in ihrem Mikrokosmos versponnen sind. Oder der magere Inhalt von Gesprächen kontrastiert mit Entscheidungen, die sich gerade anbahnen.

So kulminiert etwa die Trennungsgeschichte eines Paares in jenen Minuten, während sie über die Fütterung eines Fischotter plaudern; oder eine junge Gruppe spielt „Tat und Wahrheit“, ohne einander wirklich zuzuhören. Es sind offensichtlich keine biografischen Erlebnisse, sondern der gelungene Versuch, in die Haut verschiedenster Typen zu schlüpfen. Dennoch fragt sich ein Rezensent nach fast jeder Geschichte: „na und?“

Als Leser kann man genau das reizvoll finden - oder als Ausdruck unserer sinnleeren Zeit. Ein Kritiker fragt, ob das nur eine „schlaue, aber sehr stilkundige Absicht ist“ - denn Literatur (und wohl auch Menschen) hat Gerstenberg in Leipzig gründlich studiert. Wieder andere finden, dass ihr gerade der eigene Stil noch fehle.

Die Literaturzeitschrift Titel schreibt unter der Überschrift „Unerträgliche Leichtigkeit des Jungseins“ unter anderem: „In Franziska Gerstenbergs Debüt wird wenig gehandelt und viel geredet - meist jedoch aneinander vorbei“. Eine begeisterte Rezension fand der Band in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) Ende Februar 2004: „Vielleicht sind die neuen deutschen Bundesländer doch nicht so heillos von der Ostalgie befallen, wie es im letzten «Merkur» diagnostiziert wird... zum Glück eine Generation, für die die Schrecken und Wonnen der DDR nicht mehr erstes Pflichtthema sind.“

[Bearbeiten] Die Alltagsmisere ins Bild gesetzt

Die meisten Figuren haben etwa das Alter der Autorin. Freilich schlüpft Gerstenberg auch in andere Rollen, etwa in die des 14-jährigen Daniel, der mit dem Opernglas die Ankunft der neuen Nachbarn im gemeinsamen Doppelhaus beäugt. Sie haben einen italienischen Namen, kommen aber aus Wiesbaden, was in dem geografisch nicht näher bestimmten Kaff schon exotisch genug ist. Sie haben sogar einen Sohn, kaum älter als der Ich-Erzähler, doch wird das kein rechter Spielgefährte. Der Neue heißt Anton, sagt aber «Ich bin der Carlos, der Carlos Santana, der echte, der aus Mexiko!». Sein Autismus bringt die Familien einander näher, sie freunden sich an, in all ihrer kleinbürgerlichen Steifheit, die sowieso keine Zonengrenzen kennt.

Die Herkunft und der Wohnort dieser Figuren sind, wie die NZZ meint, nie genau herauszufinden, „denn in ihren sozialen Breiten ist die deutsche Wiedervereinigung perfekt gelungen, in der brüderlichen Verteilung der Lebensnöte. Überall zwischen Rhein und Oder könnte jener mickrige Wildpark sein, in dem eine junge Frau und ein Mann feiertags ihren Kummer spazieren führen. «Sie haben mir gestern gekündigt», sagt sie und meint, so «können wir doch jetzt ein Kind bekommen».“ Gerstenberg habe die menschlichen Antennen und das Sprachgefühl, um die Alltagsmisere literarisch in beeindruckende Bilder zu fassen.

Diese Erzählungen „reiten nicht auf der Welle des Hauptstadtbooms und sind vom Prenzlauer Berg so weit entfernt wie von jeglichem modischen Schnickschnack. Sie handeln vom tagtäglichen Strampeln:“ «Wir haben kein Auto, sagt Nina aus Bochum, und nach einer Weile fügt sie hinzu: Wir haben keinen Papa.» Das kleine Unglück ist grenzenlos gleich, von Aachen bis Zwickau.

[Bearbeiten] Gott ist groß

In dieser Geschichte gipfelt der Kontrast zwischen Oberflächlichkeit und Tiefe. Die Aushilfe einer Suppenküche erzählt von ihrer vergeblichen Hoffnung auf einen festen Stelle als Praktikantin. Da diskutieren gestrandete Zwanzigjährige, ob ein fester Wohnsitz zu bürgerlich sei, aber «sie wussten noch nicht, wie kalt und zugig im Herbst die Bushaltestellen wurden». Die junge Frau lädt einen alten Obdachlosen ein, in die Suppenküche zu kommen, zu essen und seine Kleider zu wechseln. Nur widerstrebend nimmt er die Barmherzigkeit an. Feierlich lobt er dann Gott und Jesus mitten im vulgären Getümmel der Elenden. Franziska Gerstenberg beschreibt das in einem erstaunlichen Gleichgewicht zwischen moralischer Haltung und künstlerischer Gewandtheit, und misstrauisch gegenüber der Elterngeneration, deren Atheismus «etwas beängstigend Religiöses» hat.

[Bearbeiten] Das Lebensproblem der jungen Generation

Das Lebensproblem der jungen Generation besteht quasi in der Leichtigkeit des Jungseins. In einer der Geschichten möchte Kirsten etwas über ihre frühere Freundin Leonie erfahren und geht deshalb mit Mark schwimmen. Einem Paar wird in Holland das Auto aufgebrochen, während ihnen eine Hure zulächelt.

Die erzählenden Gestalten sind zwar unkonventionell, tragen aber laut NZZ „ihr neues Deutschland immer mit sich, auch wenn sie verreisen“. Eine junge Frau kann beim Zirpen mediterraner Zikaden ihre Geliebte nicht vergessen, die nicht in die Ferien mitgekommen ist. Auch in einem anderen Text ist ein junger Tramper mit Herz und Hirn bei seinem daheim gebliebenen Freund, während er beim Camping freudlose Gesellschaft findet. „Jener Frau werden die Hitze und die Zikaden zum Albtraum in der Fremde, unter «zwei Olivenbäumen, die eng umschlungen an einer staubigen Kreuzung stehen». Diesen Mann schaudert bei dem Gedanken, dass in demselben Zelt schon seine Eltern schliefen. «Auf Tramperurlauben durch Bulgarien und Rumänien, siebzig bis dreiundsiebzig, selbst wenn es wahr wäre, wäre es dreißig Jahre her.» Auch auf fremdem Terrain gelingen Franziska Gerstenberg leuchtende Bilder.“ (F.Haas in NZZ vom 25. Februar 2004)

[Bearbeiten] Speziell erlebte Wiedervereinigung

Der Rezensent der FAZ (23. März 2004) bringt die Besprechung des Debütbandes in größere politisch-literarische Zusammenhänge: „Für viele Ältere im Land ist die Wiedervereinigung welthistorischer Glücksfall, unvermeidliche Geschichtskorrektur oder wirtschaftspolitisches Desaster... In jedem Fall markiert sie eine oft unverhoffte, fast immer unerwartete Zäsur,“ die Jana Hensel und jetzt Peter Richter in Zonenkinder und Blühende Landschaften thematisiert hätten: „Die eine Hälfte ihres jungen Lebens verbrachten sie in der DDR, die andere im wiedervereinigten Deutschland. Deshalb ist ihnen, kaum dreißigjährig, die eigene Existenz bereits historisch geworden.“ Gerstenberg hingegen wähle einen anderen Weg und „siedelt ihre Erzählungen an Orten an, die weder dem westlichen noch dem östlichen Teil des Landes eindeutig zugeordnet werden können.“ Die FAZ mutmaßt, dass ihr um 5 Jahre jüngeres Lebensalter dazu beitrug, denn:

„Für die Generation der kaum mehr als Zwanzigjährigen ist das wiedervereinigte Deutschland der Normalfall. Sie blicken heute auf die DDR zurück, wie ein Fünfundzwanzigjähriger 1960 auf das Dritte Reich“ ... Als erste Generation könne sie „einen von der früheren Teilung nahezu unberührten Blick auf das heutige Deutschland haben“, war aber ganz andern Einflüssen ausgesetzt als ihre Vorgänger ... „Wer 1980 zwanzig Jahre alt war, mußte seine gesamte Teenagerzeit über das Wort vom Waldsterben wie einen basso continuo hören. Den heute Zwanzigjährigen dröhnt der Schädel von der Rentenreform, der Altersarmut .... ganz zu schweigen vom 11. September.“

[Bearbeiten] Weblinks


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