Nationenbildung
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Nationenbildung (engl. nation-building) ist ein Prozess sozio-politischer Entwicklung, der aus locker verbundenen Gemeinschaften eine gemeinsame Gesellschaft mit einem ihr entsprechenden Staat werden lässt.[1] Zu diesem Prozess gehört die Etablierung (oder auch die Oktroyierung bzw. der Import) kultureller Standards wie die einer einheitlichen Sprache für das zukünftige Gemeinwesen und die schrittweise Integration von immer weiteren Teilen der Bevölkerung in soziokulturelle und politische Einrichtungen wie das Wahlrecht. Der Prozess der Nationenbildung wird oft von einem militärisch, administrativ und ökonomisch dominanten Machtzentrum aus geführt, um bestehende oder angestrebte Herrschaftsverhältnisse zu legitimieren.
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[Bearbeiten] Überblick
Ursprünglich bezog sich Nation-Building auf die Bestrebungen junger Nationalstaaten, vornehmlich der Nationen ehemaliger afrikanischer Kolonien, die von den Kolonialmächten ohne Berücksichtigung ethnischer oder andere Grenzen umgeformten kolonialen Territorien neu zu gestalten. Diese reformierten Staaten sollten dann entwicklungsfähige und zusammenhängende nationale Einheiten werden.
Nation-Building umfasste die Schaffung äußerer nationale Symbole wie Flaggen, Hymnen, Nationalfeiertage, nationale Stadien, nationale Fluglinien, Nationalsprachen einschließlich nationaler Mythen. Auf einem niedrigeren Niveau musste die nationale Identität willkürlich konstruiert werden, indem sie unterschiedliche Gruppen zu einer Nation formte, besonders wo der Kolonialismus "Teile und Herrsche"(divide et impera)-Taktiken zur Stabilisierung der eigenen Herrschaft verwendet hatte.
Eine der erfolgreichsten Nation-Buildings Aktionen bildet Singapur, wo eine Mischung von Chinesen, Südindern, Malaiien, Europäern und anderen Ethnien nebeneinander existieren.
Zahlreiche junge Nationalstaaten werden jedoch durch aus dem Tribalismus herrührende Rivalität zwischen den ethnischen Gruppen erschüttert. Dieses führte mitunter zu ihrem Zerfall, wie 1970 beim Sezessionskrieg Biafras aus Nigeria 1970 oder der anhaltenden Forderung der Ogaden-Somalier nach vollständiger Unabhängigkeit ihrer Region von Äthiopien. In Asien bildet der Zerfall von Pakistan in Pakistan und Bangladesch ein weiteres Beispiel, wo ethnische Unterschiede, gestützt durch die geographische Abgrenzung, einen postkolonialen Staat auseinanderrissen. Bestimmte Wurzeln des Völkermordes in Ruanda oder des Sudankonfliktes hängen ebenfalls mit einem Mangel an ethnischer, religiöser oder rassischer Kohärenz innerhalb der Nation zusammen. Gerade bei der Vereinigung von Staaten mit ähnlichem ethnischen aber unterschiedlichem kolonialgeschichtlichen Hintergrund kommt häufig Konflikte auf. Neben erfolgreichen Beispielen wie Kamerun zeigen Fehlschläge wie die Konföderation Senegambia die Probleme bei der Vereinigung frankophoner und anglophoner Territorien.
Gegenwärtig wird der Terminus Nation-Building in einem vollständig anderen Kontext verwendet. Seine Verfechter beschreiben ihn kurz als „Einsatz bewaffneter Gewalt nach einem Militäreinsatz zur Unterstützung eines dauerhaften Übergangs zur Demokratie in einem fremden Land“. Hier bezeichnet Nation-Building die gezielten Bestrebungen einer fremden Macht zur Schaffung oder Installation einer nationalen Regierung nach einem Modell, das den Wertvorstellungen der eindringenden Macht entspricht, im Lande selbst aber oft fremd und sogar destabilisierend wirkt. Nation-Building wird gewöhnlich durch massive Investitionen, militärische Besatzung, Übergangsregierungen und den Einsatz massiver Propaganda begleitet, die die offizielle Regierungspolitik vermitteln sollen.
[Bearbeiten] Literatur
- Benedict Anderson: Die Erfindung der Nation. Campus Verlag 2005 ISBN 3-593-37729-2
- James Dobbins et al: America's Role in Nation-Building from Germany to Iraq, Rand (2003) ISBN 083303460X
- Francis Fukuyama: Staaten Bauen. ISBN 3549072333
- Jochen Hippler (Hg.): Nation-Building – ein sinnvolles Instrument der Konfliktbearbeitung? Dietz Verlag, Berlin 2003, Auszug: [1]
- Eric Hobsbawm: Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780. Campus-Verlag, Frankfurt/New York 1991, ISBN 3-593-34524-2
- Miroslav Hroch: Das Europa der Nationen. Die moderne Nationsbildung im europäischen Vergleich, Göttingen (2005) ISBN 3-525-36801-1
- Rolf Klima: Nationenbildung. In: Werner Fuchs-Heinritz u.a. (Hg.): Lexikon zur Soziologie. Westdeutscher Verlag, Opladen ³1995
- Heinz-Peter Platen: Nationenbildung und Nationalismus. Schroedel. ISBN 978-3-507-36858-3
- Siegfried Weichlein: Nationalbewegungen und Nationalismus in Europa (= Geschichte Kompakt), Darmstadt 2006 ISBN 978-3-534-15484-5
- Siegfried Weichlein: Nationalbewegungen und Nationalismus in Europa. Ein Forschungsüberblick, in: Neue Politische Literatur 51 (2006), Heft 2/3
[Bearbeiten] Quellen
[Bearbeiten] Weblinks
Kurzer historischer Überblick zur Entstehung des Natonalstaats